Was gut war: KW 21, 2017

Montag ohne Brille, mit leckem Thermobecher und generell verspätet aus dem Haus – im Gegenzug dafür den neuen Schreibtisch im neuen Stockwerk auf Anhieb gefunden. You win some, you lose some.
Lumpige 220 Emails und einen ausgepackten Umzugskarton später, fing es an sich wieder wie mein Büro anzufühlen.
Auf dem Weg zur Kantine auch nur ganz knapp verlaufen. (Gleich nach Brutalismus halte ich mittlerweile runde Gebäude für eines der größten architektonischen Missverständnisse der jüngeren Zeit. )

Gleich mal einen Konfliktherd aufgerissen, weil in meiner Abwesenheit völlig irrsinnige Entscheidungen getroffen worden waren. Ah, wir haben diese Phase erreicht. Einzig und allein in solchen Situationen wünsche ich mir die Fähigkeit Menschen nur mittels Charme in Grund und Boden und Kompromissbereitschaft reden zu können. Ich bin halt eher die Abteilung schroff & ehrlich, dafür weiß man woran man ist.
Wobei ich natürlich merke, dass die meine wilden beruflichen Anfangszeiten ein paar Spuren hinterlassen haben. Erst Rat einholen, nicht auf Konfrontation gehen, die verschlungenen Strukturen eines Konzerns zum eigenen Vorteil nutzen. Ich lerne zwar langsam und auf die harte Tour, aber es wird.

Beim Warten auf die S8 am Dienstagmorgen ein harmloses Sonnenbrillen-Selfie in Schwarz-Weiß gepostet, das im Laufe des Tages roundabout 40 Favs aufsammelt. Ist das der Grund warum manche Leute scheinbar nur noch auf die Art Fotos machen? Sehr langes darüber nachdenken, warum ich Selfies grade ob ihrer momentanen Häufigkeit so nervtötend bis narzisstisch finde und am Ende selber eines poste. Okay, das neue Wischphone hat ein paar praktische Filter, einen gruseligen Verschönerungs-Mechanismus (ich sehe dadurch aus wie eine Real-Life-Porzellan-Puppe. So creepy. ) und ziemlich guten Fokus. Vielleicht muss ich da mal ein bisschen testen. (Es hat sogar einen Kamera-Modus der sich „Spiegel“ nennt. Der quasi die Realität zeigt, damit man ggf. den Lippenstift nachziehen kann. Das ist auf mehreren Ebenen verstörend.) Der vielleicht größte Shift in der Online-Selbstdarstellung der letzten Jahre ist ja der vom worwitzelnden Twitterer/Blogger zur Generation Instagram und Snapchat. Leute die halb so alt sind wie ich (ugh.) kommunizieren selbstverständlich via Facetime und dokumentieren was sie tun nicht mehr durch Schnappschüsse, sondern aufwendig inszenierte und kalkulierte Selfies.

Natürlich spielt da ganz stark mein Selbstbild mit rein. Da ich mich immer mehr im Bereich zwischen abstoßend und erträglich unattraktiv eingestuft habe, empfand ich die Flucht ins Wort im Internet als höchst angenehm – nach meinem Äußeren werde ich bei genug Gelegenheiten beurteilt. Ich bin im Übrigen heute froh, dass ich nicht im klassischen Sinn einer modernen Ästhetik entspreche. Ich glaube es hat mir manches erspart, mich noch ein bisschen zäher gemacht. Womöglich sogar ganz am Ende dafür gesorgt, dass ich vor wenigen Dingen Angst habe und mich im Zweifel auf meine eigenen Fähigkeiten verlasse. Mich wollte nie jemand retten oder beschützen, ich löse diesen Reflex nicht aus. Heute weiß ich, dass ich damit in einer bestimmten Tradition von Frauen stehe, die lang eher am Rand der Gesellschaft standen, weil sie kein typisches Heiratsmaterial waren und ihr Leben anders gestalten mussten / konnten.

Moment, Faden, wo waren wir? Selfies. Herrgott.
Wobei, da gibt es eine Brücke. Eine meiner Replys (Anglizismen im deutschen bekommen zum Plural nur ein s, kein ie, Herrschaften.) meinte sogar, Selfies fallen unter Kunst (und jetzt wo ich es schreibe, könnte ich schwören Anke Gröner hat da schon mal ausführlicher drüber geschrieben.). Und viele der grade erwähnten Frauen waren Künstlerinnen. Manchmal sogar bahn- oder zumindest Konventionen brechende Frauen. Ohne mich tatsächlich dort einreihen zu wollen, empfinde ich mein Hadern mit Selfies in Zeiten von „Influencer“ als „Karriere“ fast schon progressiv. Das Selfie um des Selfies willen, warum tun wir das? Junge, schöne Menschen zelebrieren, dass sie jung und schön sind, schon klar. Aber der Rest von uns? [Einschub: Um mich jetzt nicht zu verheddern: Die Outfit-Bilder unter dem von @Journelle gestarteten Hashtag #609060 zähle ich nicht als typische Selfies. Das ist größer, hat eine Botschaft und tatsächlich positive Effekte. ]

Wenn ich Bilder ins Internet stelle, dann ist das normalerweise buchstäblich meine Perspektive. Etwas das ich sehe und schön / interessant / verwirrend / überraschend finde. (Es gibt einen Grund warum meine Balkon-Aussicht ungefähr 40% meiner Instagram-Bilder ausmacht.) Dadurch stehen die Bilder in einer Linie zu dem was ich schreibe oder teile. Mit einem Selfie teilt man sich selbst, stellt sich auch ein Stück weit selbst zur Debatte. Natürlich, wenn ich hier ins Blog meine Meinung zu etwas schreibe, tue ich das auch, ich stelle meine Gedanken zur Debatte. Trotzdem, für mich gibt es da eine Grenze, eine Simplizität mit der ich Schwierigkeiten habe.

Vor allem der Teil mit der sofortigen Publikation widerspricht den Gründen, aus denen ich sonst Bilder von mir machen würde. Weil das mit Rückblick zu tun hat, mit dem Festhalten eines momentanen Zustandes. Hätte ich heute einen Fixateur und Metallstäbchen in den Zehen, um sie zu begradigen, ich würde das Gestell wohl täglich fotografieren und viel später als Collage aufhängen. (Note to self: das wollte ich mit den damaligen Röntgenbildern eh mal machen. )
Klar, wer heute ein Bild von sich postet, kann sich mittlerweile von Diensten Jahre später daran erinnern lassen und nochmal darauf zurückblicken. Aber da liegt das Ding schon ein paar Jahre auf deren Server. Ist jetzt nicht meine bevorzugte Art, um Bilder zu speichern.

Es ist kompliziert. Ich werde weiter darüber nachdenken müssen. Vielleicht eine kleine Testreihe, mal sehen.

Dienstagabend mit den Gedanken anscheinend woanders gewesen, den Geldbeutel mit allen Karten und Tickets im Büro liegen lassen und nur mit List, Tücke, Charme und Hilfe nach Hause gekommen.
Zu allem Überfluss noch eine schlimme Nacht mit einem entsetzlichen Traum durchgemacht. So entsetzlich, dass ich am nächsten Morgen panisch nachschauen musste, ob der im Traum verstorbene Twitterer Lebenszeichen von sich gab. Tat er. Internet-Menschen, ey. Wachsen dir jetzt schon unbekannterweise derart ans Herz, dass du am nächsten Tag erstmal einen doppelten Espresso brauchst und am liebsten einen Schuss was anderes dazu geben willst.

Mittwoch immer noch auf der Sache von Montag rumgekaut, also Rat und Unterstützung eingeholt. Wie so eine Erwachsene. Zur Belohnung erstmal ein Flutschfinger und dann ab ins lange Wochenende.
Donnerstag außergewöhnlich erfolgreich nichts getan, außer gelesen, gegessen und auf dem Balkon gesessen.

Freitag und Samstag mit netten Menschen und gutem Essen zugebracht – quasi perfekte Tage. Erdbeeren mit Eierlikör, Freunde, probiert es. Dankt mir. Werft Gemüse auf den Grill, schneidet Erdbeeren in Salat und esst bis Mitternacht Baguette. Kohlenhydrate zählen an lauen Sommernächten nur zur Hälfte.

Sonntag ein bisschen rumgenölt – allerdings in der luxuriösen Variante auf dem Balkon. Weil kaum in der Komfort-Zone, gehen mir Dinge nicht schnell genug, habe ich noch keine haargenauen Lösungen für alles. Als hätte ich immer noch nicht gelernt, dass Dinge sich finden. Herrschaftszeiten. Ziel für den Sommer: Lernen, Dinge auf mich zukommen zu lassen.

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