Allgemein

24 Letters – Brief 1

So, I did a thing, again. Ich weiß doch auch nicht, was genau mit mir nicht stimmt, dass ich immer Sachen anfangen muss, aber here we are. Das kam so: Die größte Veränderung, die beste überhaupt, der letzten Jahre war der Fakt, dass ich plötzlich mit Fug und Recht behaupten konnte Freundinnen zu haben. So richtige, nahe, durch Chaos und Entwicklung und Hürden beistehende Wahnsinnsfrauen, denen ich erzählen kann, was wichtig ist, für die ich da sein darf, die auf meine (!) Meinung wert legen und, huch, alle einen Hang zu den schönen Dingen des Lebens haben.

Es ist nach so vielen Jahren Unsicherheit, fragiler Verbindungen und immer wieder auch selbstverschuldeter Isolation das größte Geschenk, das ich mir machen und dessen Wert ich vielleicht auch darum nicht höher schätzen konnte. Diese Verbindungen zu erhalten, zu pflegen und zu stärken ist eine der größten Prioritäten in meinem Leben. Aber weil ich nichts wie ein normaler Mensch machen kann, mache ich auch noch daraus ein Projekt.

So kam es also, dass ich kurz vor Weihnachten 6 Pakete auf den Weg gebracht habe. Sechs kleine Weihnachtspäckchen mit je einer individuellen Aufmerksamkeit, ein bisschen Nervennahrung und für die Katzenbesitzerinnen besonders viel Füllmaterial. Außerdem in den Päckchen: Notizbücher für etwas, das uns gemeinsam durch das Jahr begleiten soll. (Ich würde mehr als 6 Frauen als Freundinnen bezeichnen, ich habe eher nach Sorte von Irrsinn sortiert, sorry not sorry.)

Als jemand, der schlecht in Smalltalk ist und neugierig und einen Hang zu Oversharing hat, dachte ich mir, wir generieren uns jetzt einfach unseren eigenen Content zum Kennenlernen. Mit 24 Fragen, die ich in 24 Briefen, äh, Blogeinträgen, über das Jahr beantworten will. Die Ladies sind nicht alle wahnsinnig genug ihre Antworten ins Internet zu schreiben, dafür gibt es schließlich Groupchats und Instagram, aber ich werde meine Antworten hier reinschreiben. Because of course.

Ich bin natürlich vom Sternzeichen her Projektmanagerin und es ist alles dermaßen geplant, gehashtagt, es ist völlig übertrieben, aber nun. Die Damen kriegen die Frage von mir immer schon eher über bevorzugte Kanäle, die werden nicht einfach so hiervon überrascht. Wichtig ist aufmPlatz im Blog gibt es auch weiterhin keine Filter, es gilt ein Brand zu erhalten. Wir sind hier in der Reputation Era (wir sind uns einig, dass das als Nächstes kommt, richtig?) und ein paar Dinge bleiben in der Girlgang. The old Bella can't come to the phone right now. Why? She's busy plotting revenge.

Aber: Liebes Internet, falls du mitmachen willst, be my guest. Vielleicht mag sich jemand ja hier und da eine Frage greifen, beantworten und es mich wissen lassen, es würde mich freuen. Sagen wir noch Stöckchen?

Kein Wort zu meinen Photoshop-Skills bitte, es ist der Gedanke der zählt.

Liebe J., liebe C., liebe L., liebe J., liebe M und liebe S. ,

gut, ich starte das alles nicht wahnsinnig originell und introspektiv, aber hey, es ist Januar, jeder Tag, an dem man aufsteht und ein bisschen produktiv ist, zählt als Gewinn.

Darum darf ich auch ein letztes Mal zurückschauen. Weil wenn eines ja unsagbar nervt, dann diese ganze "dieses Jahr wird alles anders" Nummer. Nein, du wirst nicht plötzlich ein anderer Mensch. Jemand der früh aufsteht, erstmal Sport macht, Morning Pages, grüner Smoothie, mental health walk und dann deep work noch vorm ersten Kaffee. Wenn ich mit ordentlicher Hose und Wimperntusche im Homeoffice sitze, consider effort made.

Aber vielleicht sagt sich das auch leichter, wenn man auf 2023 mit großer Wärme zurückblickt. So tief die Schnitte waren, so viele herbe Verluste es gab, die großen Veränderungen, Risiken und die Heilung alter Wunden war es wert. Weil ein bisschen habe ich meine Frage schon am Anfang meines Eintrages beantwortet: Das Beste an 2023 wart ihr. Das wichtigste, was ich gelernt habe, war, dass ihr jeden Aufwand wert seid, dass jede Minute, die ich in euch investiere, 5fach zurückkommt. Dass Drinks besser schmecken, Planungen von Vorhaben mehr Spaß machen und, vor allem, ich in keinem Tiefpunkt, an keinem grauen Tag alleine bin.

Ich weiß wie pathetisch ich klinge (als ich eine ähnliche kleine Rede bei einer, äh Feier im engsten Kreis, gehalten habe, ist die J. ein bisschen vor Cringe neben mir gestorben.), aber ich kenne die andere Seite. Jetzt, mit der 40 am Horizont, kann ich die innere 13jährige endlich an der Hand nehmen und ihr ehrlich sagen, dass es gut wird. Doch, wirklich. Nicht nur im Internet, sondern draußen und in echt. Mit Unvernunft und Abenteuer und Nächten, die nicht enden. Weil gar nicht alle um dich herum setteln und keine Zeit mehr für irgendwas haben, im Gegenteil. We're Millenial-Women, we don't do traditional.

Die Gelegenheiten aus 2023 einfach Zeit mit euch zu verbringen, haben wir zum ersten Mal im Leben den Schwung gegeben, dass ich mich traue einfach Dinge vorzuschlagen, zu planen, sehr bewusst den Raum dafür freizuräumen. (She said, im vollen Anti-Social-Januar-Darkness-Modus, aber mit besten Intentionen!)

Wir sehen uns, bei Taylor, in der Bar, zum Brunch, Museum, Kleinkunstbühne, Berlin (puh. Was tut man nicht alles.), Mainz oder Rom, ich habe immer eine Sonnenbrille und einen Korkenzieher in der Handtasche.

Und am Ende vom Jahr öffnen wir den Champagner. Es gibt eine Flasche, ein Ziel, mir wird ein bisschen schwummrig, wenn ich daran denke, aber fällig ist fällig und ich freue mich so darauf, mit euch zu feiern. Dazwischen vielleicht ein paar Piccolöchen, wenn ich mich zu Dingen überwunden habe, an dieser Stelle schon sorry für die Dating-App Nachrichten, aber das glaubt einem ja sonst keiner.

Was gut war 2023? Ich bin genug. Ich bin es wert, und zwar locker. Wer das nicht merkt, fliegt halt raus. Danke, dass ihr so hohe Standards setzt.

Apropos Entdeckungen 2023: Durand Jones.

https://www.youtube.com/watch?v=sZpVPKfIVQ8
Allgemein

No regrets 2023

Naja, fast so hatte ich mir das vorgestellt.

  1. Beiläufig alles auf links drehen. Den Job, die Ambitionen. Job einfach Job sein lassen, Blick darüber hinaus richten. Den richtigen Platz dafür finden. Wie von Geisterhand in einem Betrieb ohne Ego landen. Braucht jemanden zum Aufräumen und Ordnung reinbringen. It's basically meant to be.
  2. Raum, Zeit und Energie für andere Menschen. Für endlich Freundschaften pflegen, weil es ist was bleibt. Weill alle guten Erinnerungen, zukünftigen Pläne und aktuellen Zustände völlig wertlos sind, ohne irgendwann jemandem davon erzählen zu können.
  3. Große Erinnerungen, DIY-Edition: Die Party to end all Partys.
  4. Wenn du erwachsen bist, kommen dir Leute auf zwei Arten abhanden: Mit einem großen, massiven Knall oder ohne ein einzelnes Wort, nur einer sich leise schließenden Tür. Der Knall ist übrigens erstaunlich oft im Kopf der entsprechenden Person, also einfach Karma weiter seine Arbeit tun lassen. Speaking of which.
  5. TAYLOR TAYLOR TAYLOR. Swifties sind die Zukunft, this is a movement and you better get on board or out of our way. Es gibt eine Wucht, die nur im Mainstream entstehen kann. Sich als Teil einer gigantischen Welle fühlen, die über die Welt mit Glitzer und Emotion hereinbricht. Dass eine Künstlerin, die aus Tagebucheinträgen Songs schreibt, die aktuell mächtigste Frau der Musik ist, sagt etwas darüber aus, wie viele Menschen sich damit identifizieren. Die sich Stark fühlen wollen, gerade weil sie etwas bewegt, weil Schmerz, Enttäuschung und Delirium nicht cool sind, aber echt und universal und verdammte Axt nochmal einen Platz haben müssen.
  6. Berlin nervt, I will not elaborate further.
  7. Barbie, aber als Bildungsmaßnahme. Der fünften oder wasweißich wie vielten Welle Feministinnen beim Großwerden zusehen, während man im Kino daneben sitzt. Inklusive der Teenager-Jungs, die im diktierten Dresscode mitkommen und gleich mal lernen, wer hier in Zukunft Kenough zu sein hat.
  8. Why men great till they gotta be great? Dating-Apps und das Offensichtlichwerden eines Risses in der Generation Alt-Millenial. Frauen können alles, wollen alles, kommunizieren alles. Männer wollen Jungs sein. You are not the price, fix your shit, es ist 2023, wir müssen eine Revolution planen, find selber raus woher deine Daddy-Issues kommen. (Fix yo dick ,aber als Mental Health Advice)
  9. The big Tech-Bro-War of 2023, alles so aufregend wie Bitcoin nachhaltig ist. Die Ära der Grifter, Trickster und Pyramiden-Dudes und Mädels. Alles hustelt um sein Leben, es ist sehr unschön.
  10. And then the Dudes broke Social Media. Hier am ehesten Einkuscheln ins Mammut, alles andere voller Ego, Werbung und Shiny nonsense. (hier das alte "mehr Bloggen"-Mantra einfügen.) Das Zerbröckeln der alten Blase tut weh, die Wankelmütigkeit derer, die auf den nächsten Bubi mit schwacher Moral reinfallen (bitte nicht mehr mit "aber CEO ist eine Frau" argumentieren, das hat Twitter auch.) eher enttäuschend. Leute, die keine 5 Minuten im Fediverse verbracht haben, mahnen die Reply-Guys an, aber wen ich sehe, was auf BS und Threads vor sich geht, stelle ich die Urteilsfähigkeit vieler einfach mal in Zweifel.
  11. Trotzdem oder erst recht überall anfeuern, was für sensationelle Dinge mir bekannte Menschen tun. Bücher über Fußballerinnen schreiben oder sogar erst einen preisgekrönten Podcast und dann ein Buch über einen...nunja, Fußballer (?) machen. #VereinzelteQualitätsMänner
  12. Familie und Gesundheit, das neue Dauerbrennerthema und ausnahmsweise bin ich nicht die in Behandlung, was ich immer noch nicht mag. Aber es...stabilisiert sich. Dinge haben manchmal eben einen Horizont und dann plant man trotzdem.
  13. Succession und das tiefe Nachdenken darüber, was man will, an wem man hängt. Wie viel Kunst, wenn sie gut und mit Raum gemacht wird, immer noch bedeutet. Wenn Shiv Roy sagt "My father couldn't hold a whole woman in his head." und der Satz so lang und so tief nachhallt, dass man anfängt manche Männer mit anderen Augen zu sehen.
  14. Darum auch wieder selbst etwas schaffen und dieses Mal mit Plan. 2024 hält sich besser fest. (Hier liegt "The Artists Way" rum, this might be my pretentious era.)
  15. Kombinieren von Prioritäten: Freundschaft und Kreation. Dazu demnächst hier mehr. #24letters
  16. Women are the best. Ernsthaft. Man kann schon auch mit Männern befreundet sein (Männer, nicht Jungs), aber Frauen sind einfach auf einem anderen Level und wenn wir zusammen halten, geht einfach alles. Ich helfe generell gern und viel, aber die Motivation ist nochmal eine andere.
  17. The girly girl's gonna girly girl: Das Schlafzimmer Rosa streichen, Blümchen kaufen, die eigene "Aesthetic" pflegen, parallel Eishockey schauen. Im Grunde wie immer, nur mit mehr Erlaubnis Dinge nach Außen zu tragen, ein bisschen die zu Tage tretende Weichheit zulassen. Singular kind of princess.
  18. Grenzen. 5 Jahre Diagnose und entweder endlich oder mittlerweile feststellen, wo die eigenen Grenzen als Person auf dem Spektrum liegen. Die Regler sind hochgedreht, die Haut dünner. Aber die schützenden Hände auch näher. Nein sagen, Abstand nehmen, auch mal da, wo man die Verbindung wirklich halten möchte, gerade deswegen.
  19. Mehr Selfies als jemals zuvor und nach wie vor kein Fan vom eigenen Antlitz, aber naja, es wird ja nicht besser mit der Zeit, also ruhig mal festhalten.
  20. Konzerte, endlich wieder und immer noch das beste Seelenheil. Bonus: Jetzt mit Girlgang doppelt so gut. Eras-Tour Tickets schon beim Besorgen ein gemeinsames Abenteuer, geteilte Freude, hibbelige Planung.
  21. Überhaupt, geteiltes Glück. Einladungen, Nachrichten, Erfolgsmeldungen - dabei sein dürfen, wenn andere (über sich hinaus) wachsen, Meilensteine erreichen, Entscheidungen treffen - so ein Privileg, nach wie vor.
  22. Pläne, Pläne, Pläne. So konkret wie lange nicht. Plötzlich und doch qua eigener Entscheidung in einem Leben wiederfinden, in dem Platz für mehr ist. Für Reisen und Ideen und vielleicht noch größere Veränderungen. Ein Gefühl wie kurz vor der großen Expansion.
  23. Der letzte Haken an etwas, das etwas hätte sein können. Außerhalb von Konventionen, aber dafür sind weniger bereit als sie glauben. In einer Ecke des Rings, die gelernte Lektion in der anderen die anhaltende Wut über verschwendete Energie. Manchmal füllt die Red Flag den ganzen Türrahmen aus und man hält es bloß für ein warmes Licht.
  24. 24, wirklich Bella, wieder so ein Plan, den du nicht zu Ende gedacht hast, wo soll das hinführen?
https://www.youtube.com/watch?v=cDTMq6-uYok&pp=ygUfdGhlIGxhc3QgZ3JlYXQgYW1lcmljYW4gZHluYXN0eQ%3D%3D
Allgemein

Noël

*Der Arbeitstitel ist jetzt irgendwie hängen geblieben, die Referenz erkläre ich nachher. CW für Autism, I guess?

I swear, I am completely unimpressed with clever answers.
"And I was so hoping we'd have a second date"
You're in nine kinds of pain. You don't even know what's going on inside of you. And you are so locked into damage control that you can't...
"You diagnosed me in eight hours?"
Josh, I diagnosed you in five minutes.

A. Sorkin

Mein Kiefer tut immer noch weh, zwei Tage später. So angespannt hatte ich jeden Muskel. Ich wusste nicht, dass das in ein paar Stunden geht, aber ich wusste ein paar Dinge vor Samstagabend nicht. Als ich auf einer Party war, viele liebe Menschen seit einiger Zeit das erste Mal wiedergesehen habe, ein freudiger Anlass, eine hinreißende Einladung am anderen Ende der Republik, es war doh alles wirklich in Ordnung.Bis es überhaupt nicht mehr in Ordnung war und ich warne jetzt einmal vor: Es geht heute ein bisschen ausführlicher um die Sache mit dem autistischen Spektrum und das schreckt manchen ab. Ist okay, mich verschreckt es ja auch und ich stecke drin.

Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen so ist, dear reader, aber ein erschütternder Anteil meiner Freunde mittleren Alters fällt irgendwie nicht in die Abteilung “ambient Jazz zur Dinnerparty” oder gar “klassische Instrumentalisten beim Soiree”. Nein, sie hören Bands, die ich nicht kenne, kaum unterscheiden kann, aber vor allem eines sind: laut. Was ja schön ist, ich hatte auch meine Linkin Park - und Apocalyptica Phase, zugegeben, ich bin dann auch irgendwann 20 geworden, aber doch nett, wenn Leute im Herzen jung bleiben. Das Gehör lässt eh nach, da ist laut womöglich gut.

Bei der Feier am Samstag, wo ich zur Minderheit u40 gehörte (noch bin ich das, einself!), spielte der befreundete DJ auf Wunsch der Gastgeberin also vor allem Dinge mit sehr schrammelnden Gitarren, lautem Bass und/oder wahrhaft exzessivem Getrommel.

Zu Beginn so einer Feier, zum Aufwärmen quasi, fand ich das so gar noch ganz erheiternd. Das Separee einer gastronomischen Einrichtung, in der die Feier stattfand, war mit langen Tischen und ein paar plüschigen Sitzgelegenheiten ausgestattet, was mich aber womöglich denken ließ, dass es irgendwann mal ruhiger werden würde, qua anregender Unterhaltung. (Look, innerlich war ich immer schon MINDESTENS Mitte 30, hier läuft aus Gründen Yo-Yo Ma, lasst mich.)

Apropos G Major, vielleicht gärte alles auch schon eine Weile. Nach langer Anreise am Freitag hatte ich mich Samstagmittag in eine vorweihnachtliche Innenstadt gewagt, selber Schuld also. So viele Menschen, Straßenmusiker, Lichter, Black Friday Deals, Kinderkreisch, Frittengeruch, Glühwein, Leuchtreklame - womöglich war nicht mehr viel im Sensorik-Tank. Danach dann mit eingetroffenen Freunden eine etwas chaotische Suche nach Versorgung mit Kaffee und Kuchen oder Vergleichbarem, auch die innere Planerin war eher nicht mehr in Balance. So in der Gesamtbetrachtung war die anschließende Beschallung mit 6 Stunden, nun, für meine Ohren Lärm, einfach zu viel.

Es muss dann irgendwann nach dem Essen passiert sein, als ich merkte, wie mir die Musik die Haut abzog. Wie ich innerlich in ein “es muss doch gleich besser werden” verfiel, in ein Hoffen, dass es leiser, langsamer, erträglicher wird. Stattdessen fühlte sich sehr schnell jeder Song an, als würde er wieder den Schäler ansetzen und noch eine Schutzschicht abziehen, als würde der tendenziell brüllende Gesang direkt mein Nervenzentrum angreifen.

Sensory Overload heißt das, fast schon lapidar. Der deutsche Begriff ist “Reizüberflutung”, nur, dass der leider schon a weng strapaziert und nur noch bedingt im Zusammenhang mit Autismus genannt werden kann. Ich war immer stolz darauf, wie zäh ich bin. Was ich alles aushalte. Gerade auch nach der Diagnose dachte ich, Gottseidank bin ich nicht SO empfindlich. Ich habe zwar ein wirklich gutes Gehör und schiefe Töne können sich regelrecht schmerzhaft anfühlen, aber mei, für wen ist das nicht so? Für die meisten Leute, wie ich gelernt habe. Es mag auch niemand helle, lichtdurchflutete Räume und große helle Leuchten, richtig? RICHTIG?

Zuerst wurde ich, zumindest in meiner vagen Erinnerung, etwas zickig zum Thema Musik. Strategisch völlig idiotisch erstmal die laufende Playlist gedisst, weil mir die Werkzeuge fehlten, um zu erklären, dass ich es wirklich gerade nicht mehr aushalte. Dass ich mich keine Minute mehr mit jemandem Unterhalten kann, solange es sich anfühlt, als ob das verdammte Schlagzeug auf meine Nervenenden eindrischt, ich nichts mehr mitbekomme außer dem anstrengenden Grölen des Sängers und generell gleich implodiere, WENN NICHT ENDLICH JEMAND DEN DRECK LEISER MACHT. Also das war innen.

Außen wurde ich halt still. Habe versucht, die Ecke des Raumes zu finden, wo es vielleicht weniger schlimm ist. Wo es mir die Luft weniger abschnürt, ich nicht den Drang verspüre zurück zuschreien, dass es bitte bitte endlich aufhören soll, dass ich ganz dringend und auf der Stelle Ruhe und Dunkelheit brauche und alle Entscheidungen hinterfrage, die mich an diesen Ort gebracht haben, wo offensichtlich alle außer mir mit dieser Geräuschbelästigung leben und sogar feiern konnten.

Wie ich für einen kurzen Moment sogar hinterfragte, wie ich mit diesen Menschen befreundet sein kann, wenn sie ranzige Kneipen und schlechtes Bier und unerträgliche Musik gut finden und Dinge improvisieren und überhaupt, das geht doch alles so nicht, wie haltet ihr das alle aus, WIE HALTET IHR DAS ALLE AUS UND MERKT IHR DENN NICHT, DASS ES MICH GERADE ZERREISST.

Aber es wurde ja bemerkt und auch das ist die Geschichte vom Samstag. Von ausgerechnet, oder vielleicht selbstverständlich der jüngsten Person auf dem Fest, die nicht nur sah, sondern auch verstand und jetzt fange ich schon wieder an zu heulen, weil ich die Gelegenheiten in meinem Leben, wo jemand aktiv und ohne mein Bitten advocacy für mich betrieben hat, an einer Hand abzählen kann. So eine Person haben, die einen erstmal in Sicherheit bringt und die bescheuerte, erschöpfte Heulerei aushält und sogar dafür sorgt, dass es etwas leiser wird. Nicht leise genug, aber das ist natürlich die Krux jetzt.

Ich hätte ja einfach gehen können, aber einfach ist gar nichts. Ich wollte doch so gern mitfeiern, ich wollte mitlachen, auch lustig sein, für die Gastgeberin zu einem gelungenen Geburtstag beitragen. Ohne, dass sie dabei auf ihren, egal wie zweifelhaften für mich, Musikgeschmack verzichten muss. Auch logistisch alles völliger Wahnsinn. Selbstverständlich passiert dieser Meltdown nach fast 10 Stunden Anfahrt und kaum 5 Stunden Party. Ja was auch sonst.

Aus dieser tollen Mischung aus komplett eingebrochen, aber dickköpfig und außerdem nicht negativ auffallen wollen, aber es dadurch natürlich tun heraus, konnte, wollte, weigerte ich mich also einfach zu gehen.
Sogar jetzt beim Aufschreiben drückt es meine Lungen wieder zu. Auch so ein Mega-Feature am Autistinnen Dasein - je traumatisierender die Erinnerung, umso weniger kann sie von der emotionalen Reaktion distanziert werden und so steckt man beim erneuten Nachdenken darüber wieder komplett im neuronalen Setting. Toll, oder?

Das ist auch die einzige Erklärung, die ich habe, warum ich - zumindest bis dato - gern auch auf große Konzerte gehe. Laut, Schrill, Bombast - I’ll take it. Aber halt Musik und Künstler, die ich mag, verehre - wodurch die emotionale Reaktion positiv ist und der Overload wohl ausgeglichen wird? Ich bin doch auch nur Laie.

Aber vielleicht ist das auch alles Vergangenheit.

Darüber denke ich seitdem nach. Ob das Wochenende ein Wendepunkt war, eine Zäsur. Die Intensität des Zusammenbruchs, die mir auch Tage später noch in den Knochen steckt, lässt mich ins Wanken kommen, was Pläne angeht. Viele Autist*innen berichten davon, dass ihre Widerstandskraft mit steigendem Alter weniger wird, die Rekonvaleszenzphasen länger sein müssen, Grenzen noch enger gesteckt werden.

And this is where the anger kicks in.

Weil das Universum schuldet mir noch ein paar Dinge, vor allem gute, intensive Momente. Ich war das kranke Kind, der gemobbte Teenager, die gestresste, brave Studentin. Ich kenne Einsamkeit und Isolation, ich kannte den gefühlten Lockdown lange vor der Pandemie. Je mehr zurück es für viele in die “Normalität” oder zumindest etwas Vergleichbares zu den before-times, wie ich sie nenne geht, desto öfter ist da ein kleines Stechen, eine unerhöhrte, fast unanständige Vermissung der Zeit, als es durch die zwanghafte Anpassung unser allen Lifestyles zu einer gemeinsamen Basis kam, aus der ich viel gezogen habe.

Ich habe in den letzten 3 Jahren mehr intensive, kluge, reflektierte Gespräche geführt als in allen Jahren davor zusammen. Mehr über Menschen erfahren, mehr hinter die Fassade geschaut und Verbindungen geknüpft als ich es für möglich gehalten habe. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich nichts aushalten, um dabei sein zu können, weil wir alle buchstäblich denselben Abstand halten mussten. Ich musste nicht physische oder mentale Ressourcen kalkulieren, um meinen Bedarf an Austausch mit anderen Menschen dagegen zu rechnen.

I miss the quiet conversation.

Manchmal denke ich, dass ich beruflich eigentlich gar nicht ambitioniert bin, aber ich möchte mir Komfort leisten können, weil wenn ich bestimmte Rahmenbedingungen nicht mit Komfort ausgleichen kann, müsste ich auf Gelegenheiten verzichten, die die Einsamkeit verhindern. Das 1. Klasse Bahnticket für die lange Fahrt, das Hotelzimmer in der Nähe vom Veranstaltungsort, die Reservierung für das gute Restaurant, das Taxi für die letzten Meter. Klar war mir die Verbindung zwischen meinem Hang zu solchen Komfort-Maßnahmen und meinen physischen Beeinträchtigungen. Aber erst langsam klickt die Synapse zwischen der inneren Luxus-Lady und der Autistin, die sich an Qualität orientiert, weil es weniger Aufwand ist. Weniger Risiko, dass etwas kaputtgeht, es keinen Service gibt, ich mich selbst kümmern muss, anstatt es einer Person mit entsprechender Expertise zu überlassen.

Being me is expensive y’all.

Als ich die letzten Stunden der Party hinten in einem Sessel saß, kamen nach und nach einzelne Menschen vorbei, fragten wie es mir geht, was man tun kann. Aber, und das ist das Fiese an dieser Sorte Zusammenbruch, ich konnte nicht mal mehr wirklich antworten. Es war keine einmalige Eruption, kein Fieber, das kippt mit anschließender Heilung. Ein besonders tapferes Duo (the aformentioned inclusion advocacy heroine und noch so ein grumpy Berlin Union Fan) mühten sich bis zum Ende sehr, aber die Wut über meine eigene Schwäche, die Enttäuschung womöglich jemandem die Feier verdorben zu haben, die immer noch plärrende Musik - es wird noch ein paar Tage dauern, bis ich wieder Normalzustand habe.

Selbst dann liegt eine Zukunft vor mir, die noch sensibler geplant werden muss, die damit potenziell auch meine Verbindungen zu anderen wieder fragiler macht. Selbst mit der Vorwarnung, wer ich bin, halte ich den Satz “danke für die Einladung, kann ich vorher die Playlist sehen?” für schwierig, wenn davon eine Zusage abhängt. Weil dafuq pflegt man Freundschaften, wenn zu viele davon in Großstädten wohnen, wo alles immer voll und laut ist und kann bitte jemand auf dem Spektrum ein Franchise aus halbdunklen Bars mit reduzierter Beschallung und Zutrittsverbot für Gruppen größer 5 (bei reinen Männergruppen eher 3) gründen? Mit Abständen zwischen Tischen, kontaktloser Reservierung und minimal dekorierten Cocktails.

Sagt die Frau, die im Sommer selber ein Mega-Fest veranstaltete und natürlich Tickets für Taylor Swift nächstes Jahr hat. Womöglich kam der Ausstieg aus der klassischen Consulting-Karriere gerade noch rechtzeitig, bevor ich zwischen Workshop und Präsentationen den Verstand verloren hätte, wer weiß. Wenn ich von einer Reise zurückkomme, bin ich eine von denen, die auf der Stelle noch den Koffer ausräumt, am besten eine Maschine Wäsche anwirft. Aufgeräumt wird die Wohnung ja schon vorm Verlassen. Dieses schnelle wieder Ankommen, das notwendige Wiederherstellen der Ordnung und Ruhe meines eigenen Refugium, vielleicht ist das mehr Coping als ich es mir eingestehen will.

Ach ja, da war noch was.

Irgendwann in den letzten Tagen, gegen Ende meines seit Wochen andauernden Emergency Room Marathons, kam in einer Folge Yo-Yo Ma’s Version der Cello Suite No. 1 von Bach vor. Eine Version, die ich aber vermutlich für alle Zeit mit einer anderen Serien und einer herausragenden Folge verbinden werde. In der Folge hat Deputy Chief of Staff Josh Lyman eine PTSD-Episode, während Yo-Yo Ma genau dieses Stück spielt. But he was already cooking.

https://youtu.be/E-kj4naK5zs