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Poets and Boys in Berlin

Das Problem ist ja: normalerweise finde ich mein Leben viel zu langweilig zum täglichen Bloggen und dann passiert in ganz kurzer Zeit wahnsinnig viel und ich bin überfordert damit es auch nur zu strukturieren.

So I leap from the gallows, and I levitate down your street
Crash the party like a record scratch as I scream
"Who's afraid of little old me?"
You should be

(yup, it's those poets, buckle up. )

Versuchen wir es der Reihe nach. Vor fast schon wieder zwei Wochen machte ich mich auf den Weg nach Karlsruhe zur Hausmesse des Software-Herstellers für den ich arbeite, wo ich mich auch noch in der naiven Vorstellung es würde viele Kollegen treffen, zu einem Vortrag habe überreden lassen. Ohne jetzt zu sehr Tech-Bro zu klingen, aber natürlich ist das Thema quasi jeder derartigen Veranstaltungen aktuell "und was kann AI dann damit tun?", so auch hier. Ob Keynote oder Kundengespräch, die künstliche Intelligenz wird das Problem schon lösen, wir kümmern uns drum. Ich bin in die Berufstätigkeit kurz nach dem Platzen der ersten Dot-Com Blase eingestiegen und habe schon ein paar Hypes erlebt, ich rolle guten Gewissens mit den Augen, wenn die Blockchain es richten soll und verliere grundlegend den Respekt vor Leuten, die versuchen mir einzureden Krypto wäre die Zukunft - aber diese Welle ist anders. Es ist alles auf einmal aber eigentlich noch nicht, sondern das Versprechen davon, weil alles exponentiell ist und es ist beängstigend.

Selbst mein Vortrag ging in die Richtung, weil ich ein Modul vorgestellt habe, wo AI zur Unterstützung von Übersetzung genutzt wird. Ich habe mir große Mühe gegeben auf alle Aspekte auch kritisch und hinterfragend einzugehen. Auf die schwankende Qualität und den potenziellen Verlust von Übersetzungs-Memory, natürlich auch auf die Dinge, die eben nur geschulte Übersetzer oder native Speaker verstehen und vor allem, dass die Herangehensweise eine ist, wo der Mensch sich die AI zum Untertan, zur Assistenz macht und nicht umgekehrt. Es kam zu einer spannenden Diskussion und ich glaube auch darum zu gutem Feedback - aber eben auch direkt nach mir zur Vorstellung eines Tools, das aus einem einzigen Produktbild angeblich alle Daten korrekt ableiten (naja, aus dem Internet auslesen) kann und, wenn man es genug füttert, das zukünftig auch für Produkte können soll, die noch nirgendwo im Internet zu finden sind. Das funktioniert mit einem einmaligen Industrieprodukt natürlich hervorragend, aber im klassischen Konsumbereich ist es ziemlich sicher noch überfordert den Designer-Schuh vom Retail-Dupe zu unterscheiden. Der IQ der AI ist eben noch nicht überdurchschnittlich, sie hat nur mehr Prozessoren auf einmal im Einsatz.

Freitagnachmittag bei Graupelschauer, Wind und generellem Wintermantelwetter dann aber ab in den Zug Richtung Hauptstadt. Ach ja, mit den Tortured Poets auf den Ohren. Die fast 7 Stunden Fahrt waren dann grade so genug, um zweimal durch das Surprise-Doppelalbum zu kommen und emotional einmal durchgeschüttelt und noch nicht wieder korrekt zusammengebaut im auch noch kalten Berlin anzukommen. Aber hey, die Bahn hatte eine Bahncard 1. Klasse zum Testen spendiert, don't mind if I do.

Flauschkater, endlich mit genug Personal

Jetzt habe ich bekanntermaßen eine gewisse, nun, Haltung gegenüber dieser Stadt. Zu viel Wert wird auf Coolness gelegt, wenn doch alles Chaos ist, die allzu aggressive Abgrenzung zu allem was traditionell ist, wirkt arg angestrengt und gewollt, von Organisation, Aufgeräumtheit und Chame mal ganz abgesehen. Lustigerweise ist es die "Berliner Schnauze", die angeblich so grob sein soll, die mich nie gestört hat, weil da finden sich ja Bajuwaren und Preußen auf eine wahrheitsliebende Art zusammen.

Yes, I'm haunted, but I'm feeling just fine
All my girls got their lace and their crimes
And your cheating husband disappeared, well
No one asks any questions here

(Florence, my girl!!!)

Weil es dann doch schon ein bisschen spät für eine Bar war, wurde ich von der besten Partner in Crime erstmal abgeholt (auch schlimm an Berlin: Man verliert hochqualitative Menschen an diese Stadt, die auch sonst überall willkommen wären.) und durch den Transformer-Bahnhof in ein befreundetes Wohnzimmer für eine kleine Likör-Orgie gebracht. And here's the thing: Ich habe, das Internet ist schuld, mittlerweile gute Gründe dorthin zu fahren, gleich mehrere und alle sind nett, klug, witzig, eloquent, begeisterungsfähig und ganz generell my people. Es ist kompliziert. Alles, was ich immer wollte, war mein kleiner Algonquin-Table, um mit spannenden Menschen lange Gespräche zu führen, die von Thema zu Thema gehen und gleichzeitig absurd, unterhaltsam, lehrreich und wild sind und mir viele neue Punkte zum Ansetzen von Gedanken geben. Jeder Versuch Menschen, die ich als geeignet empfand, hier für mich zu gewinnen, endet ziemlich tragisch. Aber im Laufe der Woche sollte sich rausstellen, dass ich dafür einfach nur um drei Uhr morgens in einer Spelunke in Friedrichshain sitzen muss. Aber dazu später mehr.

Bei der J. dann auch Wiedersehen mit dem Flauschkater, der ergänzendes Fachpersonal beim Kraulen zu schätzen weiß und darum natürlich die Woche über die Hauptperson war. Samstag dann spätes Frühstück in Prenzlberg, wo es laut Einheimischen eh schon fast Brandenburg ist, weil außerhalb des S-Bahn Rings (komisches Volk, die Ansässigen.) In sorgsam geschichtetem Look ging es dann schon los in Richtung Köpenick. Die befreundeten Union-Fans hatten es allen Ernstes geschafft mir ein Ticket für das Spiel Union gegen Bayern zu besorgen, es ist alles sehr anrührend. Das Stadion an der alten Försterei ist gerade noch so bundesligatauglich, wird in absehbarer Zeit auch umgebaut aber genau davon lebt der Mythos halt. Und wohl vom Stadion-DJ, der so eine Art eigenen Fanclub hat, das hat sich mir noch nicht vollends erschlossen. Bratwurst, Bier, Stehplatz, Pyro, Go. Ich hatte selbstredend vorher Instruktionen bekommen, wie ich mich im heimischen Block zwischen Dauerkarteninhabern zu verhalten habe und freute mich dann halt nach innen. Was mir aber halt auch so sehr im Gedächtnis hängen bleiben wird: Wie merkwürdig es sich anfühlt, wenn sich andere um einen kümmern, an meine Bedürfnisse denken. Ist die Wegstrecke okay für deinen Fuß, geht das mit dem Stehplatz, ist das zu laut, bist du okay? Jedesmal die Erinnerung daran wie wenig ich immer als ausreichend akzeptiert habe und was für ein Kulturschock es ist, dass sich jemand um mich Gedanken macht, ohne, dass ich groß auf etwas hinweisen oder möglichst "nur wenn es keine Umstände macht" nach etwas fragen muss. Wie soll man das in Ruhe Vorurteile pflegen, wenn sich so gekümmert wird? Unverschämtheit.

Alte Försterei, 20. April 2024 Union gegen Bayern, , im Fan-Block Pyro für das 20jährige Jubiläum
Ergebnistafel Union gegen Bayern 2024, Bayern 5, Union 1

Touch down, call the amateurs and cut 'em from the team
Ditch the clowns, get the crown, baby, I'm the one to beat

(sorry not sorry)

Es war das Abendspiel und lange nicht so kalt geworden wie befürchtet und in dem Berlin, das ich kennenlernen sollte, geht der Tag da ja erst los, also ab in die bevorzugte Eckkneipe/Brauerei, wo man zwar Radler mit Pils macht, mir aber versichert wurde, dass der Chef in Weihenstephan wirklich gelernt hat, was er tut. Ich drank trotzdem vor allem Cider. Aus der linksradikalen Pizzeria ums Eck (das ist in Berlin wohl eine Art Qualitätsmerkmal) wurde Pizza geholt und dann das mit der Credibility auf die Probe gestellt, weil das Personal aus Langeweile eine Partykracher-Playlist angestellt hatte. Haben Sie schon mal versucht ernsthaft etwas zu diskutieren, während im Hintergrund Lou Bega Frauen aufzählt oder drei spanische Schwestern Ketchup besingen? Eben.

Nichtsdestotrotz, ich ertappte mich dabei, wie ich meinen Batterien beim Wiederaufladen zusehen konnte. Ja, Introvertiertheit und Homeoffice und bäh Großstadthektik, alles immer noch wahr - aber halt auch: oszillierende Gespräche von Fußball über Bildungspolitik, ethischem Dilemma, Zukunftsfragen, Identität und warum die Hohenzollern unter Mülltonnen liegen, was man sich bei den Habsburgern schwer vorstellen kann. Auf Partys stehe ich oft schnell am Rand, ich kann keinen SmallTalk, die Musik ist zu laut, mich interessiert es auch nicht so - aber in einer solchen Runde? Mit dem fast nicht zu leugnendem Gefühl, dass mir auch zugehört wird, dass ich mich mit wirklich cleveren, erfahrenen und neugierigen Menschen so austauschen kann, dass die nicht von mir gelangweilt sind? Is this the Gin Tonic talking or am I sparkling?

You're not Dylan Thomas, I'm not Patti Smith / This ain't the Chelsea Hotel, we're modern idiots

Es wurde dann Sonnenaufgang und damit natürlich as Hauptstadt as can get, aber meine Güte, wie sehr kann einem so etwas fehlen? Jetzt wollte ich schreiben "Sonntag dann" aber was ich meine ist "einige Stunden später" also Girlgang-Brunch mit Galettes und Crepes, sparkling Cidre und wieder Gesprächen weitab von oberflächlichem Geklimper. In meinem Kopf fangen an sich Gedanken zu formen, ob die kleinen Stiche Einsamkeit der letzten Zeit, das Ringen damit nie jemand zu sein, dem klassische romantische Dinge passieren viel mehr die Sehnsucht nach dem Austausch, der Wahrnehmung waren. Vielleicht auch die für-immer Spannung, ob wir auf Liebeserklärungen projizieren, was nicht unbedingt damit gemeint ist, weil eigentlich will man doch nur Menschen haben, denen man sich öffnen kann, roh und furchtlos, trotz aller Narben. Von den Neurosen zum Trauma und zurück zu den Pellkartoffeln mit Besprechungen von Queer Jazz-Platten, deren Interpreten Only Fans - Stars sind. Seriously. Wir enden auf der Couch mit geliefertem Korean BBQ (GROßSTADT) und schauen dem jungen Brad Pitt beim Kämpfen mit Bären zu.

der letzte Stopp in Friedrichshain

And I look unstable
Gathered with a coven round a sorceress' table
A greater woman has faith
But even statues crumble if they're made to wait
I'm so afraid I sealed my fate
No sign of soulmates
I'm just a paperweight
In shades of greige
Spending my last coin so someone will tell me
It'll be ok

(sie hat ein Album für uns perpetual single, miss independent first born töchter gemacht, it's EVERYTHING.)

Montag überlasse ich die Gastgeberin ihren Calls und starte eigentlich ins Sightseeing, aber Berlin möchte ja nicht gemocht werden, also kurz nach dem Brandenburger Tor schon Regen, der bis zum Alexanderplatz schon Graupel ist. An der Museumsinsel mit Blick auf den Berliner Dom (so adorable wenn Protestanten Prunk versuchen) wieder Niesel-Irgendwas, dauernd halten mich Touristen für eine Einheimische was meine Laune erst recht nicht hebt, ich trage ja noch nicht mal schwarz. Berlin trägt nämlich kollektiv und manchmal erschütternd unironisch schwarz mit schwarz und schwarzen Schuhen, die zur schwarzen Jacke passen. Es ist durchaus passend, dass in der Stadt alle der Designer sein will und keiner die Kreationen tragen.
Apropos Kreationen, ich bin dann vor dem Wetter erst in ein putziges Café geflohen, wo der frozen strawberry matcha mit Hafermilch gar nicht so teuer ist, also hab ich gesehen, ich habe Tee getrunken. (kicher) und von aus via dem Hackeschen Markt ins KaDeWe. Es ist ein bisschen als hätte man Ludwig Beck auf 11 gedreht, mit Velvet Ropes vor dem YSL-Store, verwirrten Touristen, tatsächlich einkaufenden Koreanerinnen und verpeiltem Berliner-Jungvolk, das hier zwar einkaufen könnte, aber mit dem Konzept Laden irgendwie überfordert scheint. Alles ist sehr hübsch und shiny und Designer-Dings. Ein Teil von mir fühlt sich in so ganz absurden Orten durchaus wohl, ich finde es leichter hier mit ein bisschen Apathie umherzuhuschen und nur zu gucken als im kleinen, netten Laden, wo der Besitzer hinter der Kasse hofft, dass man den Artisinal Firlefanz mag.

Später sitze ich durchaus Zufrieden ob meiner Zurückhaltung in der Papeterie bei einem Steak-Sandwich und Rotwein oben in der Feinkost-Abteilung, als der Tag ein bisschen entzwei bricht. Ich poste manchmal meine kleinen Beobachtungen oder Bilder wo ich bin in meinem Whatsapp-Status und habe nicht immer 100% Überblick darüber, wer den alles sehen kann. Zumindest muss es sowas gewesen sein, als ich eine Nachricht von einem Geist sehe, weil er zufällig auch in der Stadt ist. Der Geist war mal ein Kandidat für den Algonquin-Table, in consideration für lebenslage Freundschaft, aber ich war wohl nicht convenient genug und wurde aussortiert, meldungslos. Großer Schmerz, große Enttäuschung und noch viel größere Wut über die Täuschung in der Person und in meine Menschenkenntnis. Und dann sitze ich da und versuche mir zusammenzureimen wie es nach Monaten zu einer noch dazu hochgradig bescheuerten Nachricht kommt. Ich muss mir bekanntermaßen mein Verständnis von menschlichem Verhalten aus Mustern und Motiven zusammenpuzzlen, aber hier komme ich an meine Grenzen. Das Ende der Nachricht open for interpretation, soll das eine Entschuldigung sein? Ein Joke? Charme? Was stimmt nicht mit jemandem der einem erst so wehtut und dann versucht einem in der Stadt am anderen Ende der Republik zuzuzwinkern?
Ich bin doch immer noch diesselbe und das wird aus der Nachricht sogar klar. Warum sich melden, wenn man nicht in der Lage ist die Maske für einen Moment runterzunehmen? Weil ich weiß, was deine Töchter mal ihrem Therapeuten erzählen werden? Who's afraid of little old me und warum dann nicht loslassen? You couldn't last an hour in the asylum that they raised me and it shows. Wie lächerlich der Versuch wirkt, wenn man wieder Zeit mit Leuten verbringt, die keine solche Angst vor der Wahrheit haben. Naja, hat der Groupchat mit WINK MAL halt ein neues Meme.

'Cause I'm a real tough kid
I can handle my shit
They said, "Babe, you gotta fake it 'til you make it"
And I did
Lights, camera, bitch, smile
Even when you want to die
He said he'd love me all his life
But that life was too short
Breaking down, I hit the floor
All the pieces of me shattered
As the crowd was chanting "More!"
I was grinning like I'm winning
I was hitting my marks
'Cause I can do it with a broken heart

I'm so depressed, I act like it's my birthday
Every day
I'm so obsessed with him, but he avoids me
Like the plague
I cry a lot, but I am so productive
It's an art

(Alles für die Girlies mit den Goals, deren Hand niemand hält. )

Immer noch Montag, herrje. Erwähnte ich schon die Union-Fans? Weil das führt dann dazu, dass man abends im Nationaltheater beim Fußball-Salon sitzt, wo es eigentlich um ein wirklich putziges Buch geht, aber neben dem Autor Javier Cáceres hatte Journalist Christopher Biermann auch den Kapitän von Union Berlin geladen, Christoph "der schöne Mann" Trimmel (im Bild ganz rechts). Also according to allen außer mir. Ich erwähne den Abend, weil das Buch wirklich nett ist und weil Trimmel (Burgenländer!) sehr nett darüber geredet hat, dass er gern wieder die kürzeren, engeren Outfits aus den 70ern hätte. Ich unterstütze das.

Fußball-Salon, hier zur Besprechung von Mario Götzes Tor im WM Finale 2014

Keine Sorge, ich beschreibe jetzt nicht jeden Tag ganz so ausführlich, möchte aber dringend auf die Nasssammlung im Naturkundemuseum hinweisen, das ist mal wirklich Natur von der anderen Sorte, nämlich in Gläsern. Und Grüßen Sie Tristan Otto!

Tristan Otto und Buddy im Naturkundemuseum
Nasssammlung im Naturkundemuseum Berlin

Es gibt noch diesen Moment von der Eastside Gallery, dem Weg die Spree entlang wo restliche Stücke der Mauer von Künstlern gestaltet werden. Auf der anderen Straßenseite schicke Büro-Ziegelbauten, die Uber-Arena am Uber-Eats-Platz (KILL ME) und genereller Hyper-Kapitalismus. Auf der anderen Seite der Spree die einfallenden Industrie-Bauten. Und dann noch dieser Moment an einem separaten Stück Mauer, das allein rumsteht. Ein Paar, ich glaube sie sprachen japanisch bei der großen Foto-Session. Designer-Jacken, teures Objektiv, er räkelt sich Instagram-tauglich und sucht das Licht. Auf der anderen Seite der Mauer ein Schlafsack und eine zusammengerollte Gestalt. Leere Flaschen, Plastiktüten. Ich werde das Bild nicht los, es ist Metropolen-Porn, wo alle so strampeln um es leicht aussehen zu lassen, während die Gig-Economy-Arbeiter mit dem Lieferessen sich auf Rädern durch die Finanz-Boys in den Anzügen mit den 400 Euro Sneakern schlängeln. Ich erinnere mich an diese Kälte aus Paris. Das Gefühl, dass die Bewohner der Stadt den Kopf trotzig nach oben recken, weil es eben nicht jeder schafft und sie Stolz über den irrsinnigen Kampf empfinden, weil man am Wochenende in den Kitkat-Club kommt, es reicht noch für Tilidin oder Ketamin oder was auch immer und die Gäste drängeln sich in die Casper David Friedrich Ausstellung (freie Slots wieder Ende Juli), die Abschlussklassen aus halb Europa essen Dönner und schreiben ihren Namen auf die Betonbänke vor der Spree an der Eastside Gallery.
Ich laufe so lange, bis ich ein Stück Ufer für mich allein habe, es ist fast still, eine Weide senkt den Kopf gen Wasser, drüben schwimmt ein Schwan - wie Menschen das nur auf die Dauer aushalten, auch und gerade die, die mir lieb sind.

I'm lonely, but I'm good
I'm bitter, but I swear I'm fine
I'll save all my romanticism for my inner life and I'll get lost on purpose
This place made me feel worthless
Lucid dreams like electricity, the current flies through me and in my fantasies I rise above it
And way up there, I actually love it

I hate it here so I will go to
Secret gardens in my mind
People need a key to get to
The only one is mine
I read about it in a book when I was a precocious child
No mid-sized city hopes and small-town fears
I'm there most of the year 'cause I hate it here
I hate it here

Quick, quick
Tell me something awful
Like you are a poet
Trapped inside the body of a finance guy

"Privatgrundstück" zwischen Spree und Eastside

Man sagt, dass man beim Georgier war und es werden drei aufgezählt, welcher von denen den? Am nächsten Tag Dumplings, auch schon wieder ein Laden der sich wohl rumgesprochen hat. Aber auch: Endlich nochmal in Ruhe mit einem tollen Menschen aus dem Internet reden und in einer Bar landen, von der die Berliner schon mal gehört haben aber noch nicht drin waren, dann ist jetzt die Gelegenheit. Die Gespräche mittlerweile auch viel von professionellen Entwicklungen geprägt, Jobs, Karrieren, Perspektiven. Und der Reminiszenz an die gemeinsame Internet-Bubble. Wen hat man aufgesammelt, wen verloren und mit wem schon in echt einen Kaffee oder Gin Tonic getrunken, die Runde geht unentschieden aus, weil die Begleitung schon mal auf der Republica war aber ich mit einem Buddenbohm kontern kann. Die Lammbar hat eine faszinierende Karte aber dazu ein hinreißendes Konzept, weil man sich mit halben Cocktails (Lämmchen) zu entsprechenden Preisen durch die Variationen testen kann. Es wird auch schon wieder kurz nach halb für einen Wochentag und ich habe großen Respekt vor der Standfestigkeit aller Beteiligten über die Woche, die fast ausnahmslos älter sind als ich. (Ist das die Stadt?)

Apropos Sticker: Donnerstag noch ein absolutes Highlight mit einem von diesen Top-Menschen. Ich bekam eine kleine Tour ins Streetart und Comic-Berlin und ich hatte doch glatt vergessen, dass auch der Brunnen mit mehr als Youtube und Instagram gefüllt werden muss. Die ansteckende Begeisterung der Begleitung, mit Erklärungen und Hinweisen und generellem Enthusiasmus - ein ganzer Tag als Reaktivierung der kreativen Energie. So funktioniert diese Stadt für mich. Zeig mir was du liebst, wohin es dich zieht und ich stehe daneben, das Lächeln bis zu den Augenbrauen. Dann darf es am Ende auch Earl-Grey Eis mit Lemon Curd sein, zur Hölle, wofür ist man denn schon hier. Die Energie plötzlich so hochgedreht, dass man überlegt die bürgerliche Existenz aufzugeben und das mit der Boheme in einem Hinterhof zu versuchen. Nur ganz kurz, ich bin zu etepetete und verwöhnt dafür, keine Sorge, außerdem habe ich momentan dauernd Banktermine um mich um Zeug zu kümmern, ich muss das mit dem wilden Dasein auf Urlaubs-Dasein machen. Ich kaufe einen Druck und einen Comic über das Leben von Hedy Lamarr, quasi im Delirium. Mehr, mehr!

Falls man es noch nicht gemerkt hat: Berlin schon gut, aber Berliner noch besser. Weiß nicht, womit ich das verdient hab, aber es wurde sich viel Mühe gegeben und kein Luxushotel am Strand hätte gerade die Wunde so gestillt. Habe mich zum versprochenen Wiederkommen hinreißen lassen, aber wofür hat man Bahnbonuspunkte. Nächstes Mal gern ohne wahnsinnige Fans der Eisbären (Musste das sein?) und noch mehr Zeit für Mini Latte Macchiatto im linksradikalen Cafe mit den Kalaschnikovs an der Wand, für Leber essen, die angeblich "tatsächlich" hässlichen Seiten sehen, mehr Zeit für Diskussionen und notfalls noch mehr Sonnenaufgänge, aber dann bitte ohne Niederschlag und überhaupt, man munkelt die Hauptstadt lebt im Sommer gern draußen, na das wollen wir doch mal sehen.

You keep being strange. That's how we get along.

Friedrichstadtpalast bei Nacht in voller beleuchteter Glorie.

Old habbits die screaming, aber manchmal vor Euphorie.

https://www.youtube.com/watch?v=56TZ3B8Qxsk
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24 Letters – Brief 5

Was es mit den 24 Briefen auf sich hat, steht hier.

Postkartengrafik mit Text: "Ich sitze hier heute Abend und mein Kopf ist komplett leer, weil sich Arbeit und nicht beantwortete Nachrichten und Dinge, die ich erledigen will und Treffen, die ich vereinbaren möchte stapeln, aber, Dings, Kapitalismus. Darum machen wir es heute einfach. Zuerst - wie geht’s dir? Jetzt grade, so komplett.
Damit es nicht deprimierend wird: Wenn wir jemand einen großen, riesigen Batzen Geld geben würde und sagen, du kannst die Hälfte behalten, aber du musst mit der anderen Hälfte etwas Sinnvolles in Gang setzen - hast du spontan eine Idee, wo du ansetzen willst?"

Ah, wir sind dann wohl an der Stelle angekommen, wo ich anderen Fragen stelle, die ich ganz dringend mit mir selbst klären muss. Als ich die Frage formuliert habe, inmitten einer mindestens 50-Stunden-Arbeitswoche, umgeben von anderen unerledigten Kleinigkeiten und einer familiären Diskussion zur Aufteilung von Care-Arbeit und niedergedrückt vom schlechten Gewissen, wieder nicht auf Nachrichten reagiert zu haben, konnte ich vor Müdigkeit kaum noch gerade aus schauen und habe trotzdem leidlich geschlafen.

Jetzt gerade? It's complicated. Das lange Osterwochenende war gut, wichtig, mit rumliegen und nichts tun und auf wenige Dinge konzentrieren, aber es illustriert auch mit wie wenig Energie ich gerade arbeite. Me being me, läuft natürlich parallel bereits die Ursachenforschung auf der physischen Seite. Blutwerte sagen: Bitte von allem etwas mehr, existierst du überhaupt, rücken aber nicht raus warum das so ist. Darum als nächstes so Hormon-Tralala. Und abgesehen davon, dass es mal wieder sehr nervt eine Frau im medizinischen Kontext zu sein, beobachte ich interessiert, wie ich damit in eine bestimmte Zielgruppe abdrifte. Man googelt, Instagram antwortet mit Anzeigen für irgendwelche ausgleichenden Wunder-Präparate mit sehr viel empathischem Marketing. Weil wenn Frau müde ist, energielos, Haare und Haut sich nicht ans Schönheitsideal halten, dann ist das nur eine Frage von Yamswurzel und Nachtkerzenöl. Okay, whatever. (Hier Tirade über kapitalistische Mechanismen und gesellschaftlichen Druck und so Zeug ausdenken.) Andererseits: Ich habe weder Mann noch Haus oder Kinder, sondern "nur" einen Job, Ambitionen und den Wunsch Freundschaften zu pflegen (und zu lesen, zu schreiben, mich zu engagieren, am Weltgeschehen interessiert zu bleiben, ethisch vertretbar zu konsumieren aber doch irgendwie auch Geld zu investieren, weil Rente, well.) - wie kann ich schon so erschöpft sein.

Zugegeben, ich habe mich beruflich in eine interessante Situation manövriert. Eine, wo ich in eine kleinere Organisation gewechselt bin, die durchaus auch wusste, dass ich Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringe, die ihnen aktuell sehr fehlen, die aber auch ein paar Veränderungen anstoßen würden. Das ist im Grunde super, weil ich mitgestalten und Leute vor mir her treiben kann, weil ich die Rückmeldung bekomme, dass ich in ein paar Dingen wirklich sehr, sehr gut bin, aber halt auch unsagbar anstrengend, weil Veränderung, puh.

Verändert hat sich generell viel, vor allem letztes Jahr und obwohl ich es langsam wirklich wissen sollte, klickte die Synapse quasi erst in den letzten Tagen: Ob nun selbst verursacht oder nicht, Veränderung ist immer auch mit Verlust verbunden, mit loslassen und das will durchlebt werden. Jetzt sind aber ich und mein spezielles Hirn, mein dramatisch langsames Nervensystem da einfach immer sehr lange damit beschäftigt, diese Wahrnehmung überhaupt an die Oberfläche zu bringen. Mit dem Wissen im Hinterkopf, mit den verspanntesten Schultern der Welt, kurzen, wirren Momenten von Traurigkeit und generellen Fragen dazu, ob ich mich gerade wohlfühle: Wir holen wohl jetzt die Trauerphase nach. Wir verarbeiten also jetzt alles, was seit dem letzten Sommer passiert ist. Wie unsagbar nervig.

Ohne jetzt irgendwas von Somatik zu faseln: Da kann ich natürlich so viel Magnesium einwerfen, wie ich lustig bin, gegen meine müde Muskulatur, gegen das unendliche Schlafbedürfnis und Wachphasen um 3 Uhr morgens, das ist halt viel Aufgewühltheit durch Trauer. "Grief demands a witness" hab ich mal irgendwo gelesen (sehr hart an der Grenze zum Gefasel, habe Brené Brown in Verdacht) und als für immer Alleini, by default single station, ist das befürchte ich, wie ich darauf aufmerksam gemacht werde. Yoga hin, Pilates her.

Ach richtig, ich wollte ja eh zum Thema Zielgruppe. Als Frau online, die 40 am Horizont, wechselt der Algorithmus langsam aber merklich den Gang. Von Hot Girl, Booktok, Ragebait-Feminism Social Media mit Spuren von Selbstoptimierung, Side Hustle und That-Girl Morning Routine zu Skin-Care, Cortisol-Regulierung, Achtsamkeits-Flow mit Akzenten von Interior Design, Financial Planing und, Obacht, diversen "natürlichen" Heilmitteln für alles was das Dasein bereithält. Solange dazwischen genug Katzen vorkommen, sehe ich das alles nicht tragisch, erkenne aber durchaus, dass so der Weg von Radikalisierung beginnen kann, wenn man kein 20-something-incel-bro ist, der mit Dropshipping a la Andrew Tate reich werden will. Es beginnt gar nicht mal so unvernünftig, mit Posts, die einem erklären, dass es okay ist keine große Corporate Karriere machen zu wollen, sondern lieber im Cottage im Wald mit Katzen und Gemüsegarten. Von da aus geht es in die vegan-kochende Kräuterhexen-Ecke, die das alles auch immer noch gut meint und mit Kreativität auch zum Eigenbrödlertum von Frauen aufruft - bin ich dabei, komplett. Wenn einem dann die ersten Manifesting Posts (speichere dieses Audio, um in 5 Tagen Reichtum zu bekommen!) kommen, die Astrologie-Aussagen unironisch und die Tarot-Karten dramatisch werden, leuchtet so eine Art digitale yellow brick road auf, die je nachdem in welche Richtung der Blick geht, durchaus Abbiegespuren für Wissenschafts-Leugnung, TERFism und Tradwife-Transformationen bereithält. (Wenn sie an dieser Stelle ausgestiegen sind: Glückwunsch, ich arbeite daran, weniger online zu sein.)

Das ist die Krux mit der vermeintlichen Flucht aus dem unabhängigen Individual-Hamsterrad, gerade für Frauen - sie führt oft geradewegs in ein umzäuntes Gehege, wo man sich nur vorübergehend sicher vor Diskriminierung, Auseinandersetzung oder gesellschaftlichen Erwartungen fühlt, weil man in einen Sog geraten ist, der doch nur Schneisen zwischen verschiedene Gruppen ziehen will, um uns auf Distanz zur Macht zu bringen. Kontrolle über das eigene Leben ist übel anstrengend, aber alternativlos. Ob jetzt im Blümchenkleid beim Brotbacken, im Business-Meeting mit messerscharfem Eyeliner oder im Labor mit anderer Leuten Blutwerten. Die alles-erklärenden-Dudes finden ihren Weg überall hin, trust me, ich konnte neulich lesen, wie ein Mann (nicht Arzt) einer mehrfachen Mutter etwas über Vorteile von Geburtsmethoden erzählt hat. Von so grenzenlosem Selbstbewusstsein muss man sich einfach mal inspirieren lassen.

Natürlich, dear reader, ertappe ich mich schon auch dabei, wie ich mein eigenes Empfinden wieder als Startpunkt für wilde Denkfahrten und Recherchen nehme, anstatt einfach mal in Ruhe nicht fröhlich zu sein. Wir kennen uns jetzt ja auch schon eine Weile. Es ist alles Teil vom Prozess. Im nächsten Schritt strukturiere ich mich aus dem Krisenmoment raus, inklusive Timeline. Wenn dieser Eintrag hier fertig ist, buche ich Züge in die umstrittene Hauptstadt, wo man Ende April versuchen wird mich davon zu überzeugen, dass vernünftige Menschen da existieren können. Ob ich das dann Urlaub nennen kann, wird sich zeigen. (Mir wurden zumindest ordentliche Bars zugesagt.)

Das ist auch so ein Punkt, wo ich mit all den auf social media inszenierten Optimierungswegen mehr als hadere: Wie asketisch und produktivitäts-hörig das alles ist. Ich muss demnächst mal ausführlicher darüber schreiben, aber all diese beige gekleideten jungen Menschen, die ihr komplettes Leben in Notion tracken, sind mir auch ein bisschen zu preachy beim Verzicht. Niemand muss Alkohol trinken, Fleisch essen, Milchprodukte zu sich nehmen oder irgendetwas rauchen. (Happy Bubatz Day to all who celebrate, besonders allen Raucher*innen in Bayern. Fuck you Maggus, du weißt nicht, was du gerade heraufbeschwörst.) Aber, wenn der Verzicht darauf in den Mittelpunkt gestellt wird, damit man mehr Zeit im Gym, am Schreibtisch und dem Side-Hustle (Droppshipping-AI-Podcast Genre) verbringen kann, puh, ich weiß nicht. Mehr Energie für Freunde, Familie, kreative Hobbies, ehrenamtliches Engagement und was auch immer dir Freude bringt, yo, aber doch nicht für die Monetarisierung des Instragram-Accounts?

Ich schweife schon wieder ab.

Wie es mir gerade geht? Naja. Ich vernachlässige sehr viele Menschen aber irgendwie reicht die Energie gerade nur für mich. Ich arbeite daran, vielleicht hilft ja der Frühling. (Natürlich war mein Vitamin D auch zu niedrig, was für eine Frage.)

Was ich mit einem riesigen Batzen Geld anfangen würde?

Vielleicht erstmal mit MacKenzie Scott telefonieren? (Sie wissen schon, die Exfrau von Jeff Bezos, singuläre Milliardärin, die versucht das Geld so old school für gute Dinge einzusetzen statt sich eine Rakete oder eine Jacht mit einem dritten Hellikopter-Landeplatz zu kaufen.) Oder mit John Green? Der Young-Adult-Autor / Youtuber, der doch eigentlich nur gern TBC ausrotten möchte.

Was ich versuche zu sagen: ich würde lange mit verschiedenen Menschen reden und dann entscheiden. Mein Impuls ist immer die Unterstützung von Frauen und Mädchen, deren Bildung, deren Gesundheit, deren Ideen und gerade aktuell ist das vielleicht der wichtigste Kampf, um uns nicht alle Jahrzehnte zurückzuwerfen. Vielleicht würde ich einfach alle möglichen Stipendien bezahlen, Gründerinnen unterstützen, Vertriebswege für Verhütungs- und Abtreibungsmedikamente aufstellen. All die Frauen finden, die klüger sind als ich, die riesige Ideen und Lösungen haben und einfach nur jemanden brauchen, der um sie rum Ressourcen zur Verfügung stellt. That sounds like fun.

Aus der Reihe: Wie ich bis heute über eine Szene aus The West Wing nachdenke, wo gegen Ende der Serie ein ordinär reicher Mann ins weiße Haus kommt und Chief of Statt C.J. Cregg fragt, was sie machen würde, wenn er ihr Geld in die Hand drückt, um die Welt zu verbessern. Ihre Antwort sind Highways in Afrika, Infrastruktur und ich ja, das könnte man dann anschließend auch in Angriff nehmen.

https://www.youtube.com/watch?v=2JDFRTRjozc
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24 Letter – Brief 4

Was es mit den 24 Briefen auf sich hat, steht hier.

Grafik einer altmodischen Postkarte mit Text:
"Mixtape-Zeit: 5 Songs, 5 kleine Geschichten. Nicht deine Lieblingslieder, nicht deine besten Konzerte. Was lief, als du so unfassbar betrunken warst? Oder was hast du angeworfen nach dem großen Streit mit deinen Eltern? Wie fängt deine Playlist an, um dich zum Putzen zu motivieren oder die Fahrt in den Urlaub zu begleiten? Was ist deine Einlaufmusik, wenn du in den Kampf ziehst? Erzähl. Und wehe, es ist nix Peinliches dabei. "

Barcelona - Freddie Mercury & Montserrat Caballé

Ich weiß nicht, ob es als "kleine Geschichte" durchgeht, aber es ist eine von diesen Erinnerungen. Es muss wohl 1992 gewesen sein, ich war also 6 Jahre alt, saß im Fernseh-"Kammerl" der Oma, mit Karamellbonbons, grade eben lief noch "Herzblatt" und dann, ich erinnere mich nicht mehr an den Kontext, das Video von der großen, imposanten Frau mit der Stimme aus einer anderen Welt und daneben der Mann, von dem mir meine Mama schon erzählt hatte. Es ist nicht wirklich eine Geschichte, aber eine von diesen Erinnerungen, als man bei einer Kunstrichtung einen neuen Level freigeschaltet hatte. Musik, das war bis dato halt, was aus dem Radio kam und manchmal so Opernkram, den Mama aufgedreht hat. Das hier, das war die Verbindung von ALLEM und es war groß, massiv, beeindruckend und ganz offensichtlich wichtig. Ich hatte noch nicht das Vokabular dafür, was eine Hymne ist, aber von da ab hing ich an der Nadel des Bombast. Ganz ehrlich, wenn einem der letzte nach oben wandernde Ton von Montserrat nicht durch Mark und Bein geht, are you even human?

https://www.youtube.com/watch?v=Y1fiOJDXA-E

Larger than Life - Backstreet Boys

Obacht, wichtig sind die ersten Sekunden in genau der Version. Erinnert ihr euch an diese Teenager-Phase, als Morgens Aufstehen die schwierigste Sache der Welt war? Just me und mein autistic Burnout? Anyway, auf der Suche nach Wegen tatsächlich wach zu werden, stieß ich auf dieses kleine Juwel und die patentier-würdige Lache von A.J. McLean . Ich hatte diese rasend schicke Ministereoanlage, die man an der Wand montieren konnte, wegen des vertikalen CD-Players - die Älteren erinnern sich. Das Ding wiederum hatte eine Zeitschaltung und nachdem ich mir angewöhnt hatte jeden normalen Wecker während der Nacht oder kurz vorm Klingeln auszumachen, hatte ich hier keine Wahl. Ein kreischendes Lachen plärrte durch mein Kinderzimmer, der Beat setzte ein und nochmal Einschlafen war nicht. An ganz harten Tagen bin ich dann damals noch 5 Minuten kalt duschen gegangen (auch schwer vorstellbar heute). Ohne zu sehr auszuholen, aber ausgerechnet dieses Album spielte damals an mehreren Fronten eine Rolle und darum gucke ich mit Nachsicht und Nostalgie drauf. (Black and Blue is the superior Album, mit ähnlich bemerkenswerten Intros, come @ me.)

https://www.youtube.com/watch?v=zQW27sg1Omc

Wish you were here - Incubus

Incubus und die Liebe dazu hatte die N., eine der allerersten Internetfreundinnen von ihrem USA-Aufenthalt mitgebracht. Das Album "Morning View" wurde ein großes Verbindungskabel zwischen mehreren Menschen quer durch die Republik und das war das Lied, dass ich hörte, wenn ich die Realität mal wieder nicht aushalten konnte, weil da niemand in der Nähe war, der mich mochte. Wir hatten ja noch keine Smartphones, alles mit Internet hat extra Geld gekostet und die Stunden im Chat oder den Foren mussten ordentlich geplant werden. Also hört man Musik und denkt fest an Menschen, um die Zeit zu überbrücken. Plus, man ist 16 oder 17 und es bricht eh gerade alles zusammen, weil man nicht weiß, wie man durchhalten soll, bis alles besser wird. Die Band war generell eine gute Brücke. Nicht so fröhlich wie die herrschende Popmusik (siehe oben), nicht so dramatisch wie die vorherrschende Gefühlswelt mit Linkin Park, Nirvana und den NineInchNails. Jedes Album klang wieder ein bisschen anders und da war zwar Schwermut, aber eher lebensbejahend, kalifornisch. Plus, Brandon Boyd konnte man anhimmeln ohne Credibility zu verlieren. Gilt übrigens immer noch.

https://www.youtube.com/watch?v=Yg0k8ylbZe0

Rock'n'Roll Suicide - David Bowie

Gute Überleitung, weil beim Incubus-Konzert war ich später auch mal mit dem A. Aber der Reihe nach. Mit 18 endlich die Beinverlängerung, endlich auf "eigenen Füßen" stehen, aber bis dahin musste ein bisschen was ausgehalten werden. Geholfen haben dabei die Mix-CDs vom A. in meinem lilafarbenen Discman, vor allem im Krankenhaus, frisch verschraubt und alles. Die Mixes waren immer sehr liebevoll kuratiert zum Anlass, hier inklusive "wenn es weh tut" bis "zum Einschlafen" (wie ich lernte Van Morrison zu lieben). Ich weiß nicht mehr, was neben dem Song stand, aber ich verbinde ihn bis heute mit heilenden Knochen und dem Effekt von jemandem, der beruhigend auf einen einredet und sagt, dass alles gut wird. Ja mei, manchmal sind Text und Wirkung auch eher .... nicht parallel. Auf den CDs war viel, was ich vorher nicht kannte, mancher neue Mix und ich bilde mir ein, dass ich Rock'n'Roll Suicide vorher auch nicht kannte. (Ich habe große Lücken bei Bowie, werft ruhig Steine, meine Eltern waren early Boomer, ich bin mit Motown groß geworden, nicht mit Stardust.) Jedenfalls, ich denke bei dem Lied bis heute an den A., an meine Narben und daran, dass vielleicht alles gut wird. Oh no love, you're not alone.

https://www.youtube.com/watch?v=YnoyiVZUxUk

My Shot - aus "Hamilton" von Lin-Manuel Miranda

Mein Fight-Song, mein "ich geh gleich in diesen wichtigen Termin und räum da alles ab" Lied und womöglich sollte ich darüber mal mit meiner Therapeutin reden. Festgesetzt hat sich das 2017, als ich kaum ein dreiviertel Jahr beim damaligen Arbeitgeber über den internen Accelerator für Produkt- und Start-up Ideen gestolpert bin. Mit bemerkenswerter Chuzpe, kaum Ahnung und erstmal ohne jemandem davon zu erzählen, habe ich etwas zusammen gezimmert und hab, naja, gepitcht. Was kann schon schiefgehen, dachte ich, allerdings nicht damit rechnend, dass es was werden könnte - bis es dann halt so kam. Am Ende waren es etwas mehr als drei Monate in einem kleinen, wilden, kreativen Büro wo jeder Tag irgendwo zwischen Hochspannung, bei Null Anfangen und heftiger Euphorie oszillieren konnte. Wie es eben ist, wenn man von einer Idee auf dem Papier zu einem Produkt, einer Firma kommen will. Leider wurde dem ganzen Projekt genau zum Ende von dem Jahr der Stecker gezogen und es blieben viele Fragen offen, was hätte sein können. Aber egal, die Geschichte von Lin-Manuel Miranda, der im weißen Haus erstmals von seiner Idee eines Musicals über Alexander Hamilton erzählt und eher belächelt wird, bis zu dem, was dann bekanntermaßen daraus wurde, das triggert meinen Kampfgeist. Auch aktuell wieder, aber das ist eine andere Geschichte. (Warum hier auch etwas über "the room where it happens" oder "I picked up a pen, I wrote my own deliverance" stehen könnte.)

https://www.youtube.com/watch?v=r1izVfVpBwE