Allgemein

24 Letters – Brief 5

Was es mit den 24 Briefen auf sich hat, steht hier.

Postkartengrafik mit Text: "Ich sitze hier heute Abend und mein Kopf ist komplett leer, weil sich Arbeit und nicht beantwortete Nachrichten und Dinge, die ich erledigen will und Treffen, die ich vereinbaren möchte stapeln, aber, Dings, Kapitalismus. Darum machen wir es heute einfach. Zuerst - wie geht’s dir? Jetzt grade, so komplett.
Damit es nicht deprimierend wird: Wenn wir jemand einen großen, riesigen Batzen Geld geben würde und sagen, du kannst die Hälfte behalten, aber du musst mit der anderen Hälfte etwas Sinnvolles in Gang setzen - hast du spontan eine Idee, wo du ansetzen willst?"

Ah, wir sind dann wohl an der Stelle angekommen, wo ich anderen Fragen stelle, die ich ganz dringend mit mir selbst klären muss. Als ich die Frage formuliert habe, inmitten einer mindestens 50-Stunden-Arbeitswoche, umgeben von anderen unerledigten Kleinigkeiten und einer familiären Diskussion zur Aufteilung von Care-Arbeit und niedergedrückt vom schlechten Gewissen, wieder nicht auf Nachrichten reagiert zu haben, konnte ich vor Müdigkeit kaum noch gerade aus schauen und habe trotzdem leidlich geschlafen.

Jetzt gerade? It's complicated. Das lange Osterwochenende war gut, wichtig, mit rumliegen und nichts tun und auf wenige Dinge konzentrieren, aber es illustriert auch mit wie wenig Energie ich gerade arbeite. Me being me, läuft natürlich parallel bereits die Ursachenforschung auf der physischen Seite. Blutwerte sagen: Bitte von allem etwas mehr, existierst du überhaupt, rücken aber nicht raus warum das so ist. Darum als nächstes so Hormon-Tralala. Und abgesehen davon, dass es mal wieder sehr nervt eine Frau im medizinischen Kontext zu sein, beobachte ich interessiert, wie ich damit in eine bestimmte Zielgruppe abdrifte. Man googelt, Instagram antwortet mit Anzeigen für irgendwelche ausgleichenden Wunder-Präparate mit sehr viel empathischem Marketing. Weil wenn Frau müde ist, energielos, Haare und Haut sich nicht ans Schönheitsideal halten, dann ist das nur eine Frage von Yamswurzel und Nachtkerzenöl. Okay, whatever. (Hier Tirade über kapitalistische Mechanismen und gesellschaftlichen Druck und so Zeug ausdenken.) Andererseits: Ich habe weder Mann noch Haus oder Kinder, sondern "nur" einen Job, Ambitionen und den Wunsch Freundschaften zu pflegen (und zu lesen, zu schreiben, mich zu engagieren, am Weltgeschehen interessiert zu bleiben, ethisch vertretbar zu konsumieren aber doch irgendwie auch Geld zu investieren, weil Rente, well.) - wie kann ich schon so erschöpft sein.

Zugegeben, ich habe mich beruflich in eine interessante Situation manövriert. Eine, wo ich in eine kleinere Organisation gewechselt bin, die durchaus auch wusste, dass ich Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringe, die ihnen aktuell sehr fehlen, die aber auch ein paar Veränderungen anstoßen würden. Das ist im Grunde super, weil ich mitgestalten und Leute vor mir her treiben kann, weil ich die Rückmeldung bekomme, dass ich in ein paar Dingen wirklich sehr, sehr gut bin, aber halt auch unsagbar anstrengend, weil Veränderung, puh.

Verändert hat sich generell viel, vor allem letztes Jahr und obwohl ich es langsam wirklich wissen sollte, klickte die Synapse quasi erst in den letzten Tagen: Ob nun selbst verursacht oder nicht, Veränderung ist immer auch mit Verlust verbunden, mit loslassen und das will durchlebt werden. Jetzt sind aber ich und mein spezielles Hirn, mein dramatisch langsames Nervensystem da einfach immer sehr lange damit beschäftigt, diese Wahrnehmung überhaupt an die Oberfläche zu bringen. Mit dem Wissen im Hinterkopf, mit den verspanntesten Schultern der Welt, kurzen, wirren Momenten von Traurigkeit und generellen Fragen dazu, ob ich mich gerade wohlfühle: Wir holen wohl jetzt die Trauerphase nach. Wir verarbeiten also jetzt alles, was seit dem letzten Sommer passiert ist. Wie unsagbar nervig.

Ohne jetzt irgendwas von Somatik zu faseln: Da kann ich natürlich so viel Magnesium einwerfen, wie ich lustig bin, gegen meine müde Muskulatur, gegen das unendliche Schlafbedürfnis und Wachphasen um 3 Uhr morgens, das ist halt viel Aufgewühltheit durch Trauer. "Grief demands a witness" hab ich mal irgendwo gelesen (sehr hart an der Grenze zum Gefasel, habe Brené Brown in Verdacht) und als für immer Alleini, by default single station, ist das befürchte ich, wie ich darauf aufmerksam gemacht werde. Yoga hin, Pilates her.

Ach richtig, ich wollte ja eh zum Thema Zielgruppe. Als Frau online, die 40 am Horizont, wechselt der Algorithmus langsam aber merklich den Gang. Von Hot Girl, Booktok, Ragebait-Feminism Social Media mit Spuren von Selbstoptimierung, Side Hustle und That-Girl Morning Routine zu Skin-Care, Cortisol-Regulierung, Achtsamkeits-Flow mit Akzenten von Interior Design, Financial Planing und, Obacht, diversen "natürlichen" Heilmitteln für alles was das Dasein bereithält. Solange dazwischen genug Katzen vorkommen, sehe ich das alles nicht tragisch, erkenne aber durchaus, dass so der Weg von Radikalisierung beginnen kann, wenn man kein 20-something-incel-bro ist, der mit Dropshipping a la Andrew Tate reich werden will. Es beginnt gar nicht mal so unvernünftig, mit Posts, die einem erklären, dass es okay ist keine große Corporate Karriere machen zu wollen, sondern lieber im Cottage im Wald mit Katzen und Gemüsegarten. Von da aus geht es in die vegan-kochende Kräuterhexen-Ecke, die das alles auch immer noch gut meint und mit Kreativität auch zum Eigenbrödlertum von Frauen aufruft - bin ich dabei, komplett. Wenn einem dann die ersten Manifesting Posts (speichere dieses Audio, um in 5 Tagen Reichtum zu bekommen!) kommen, die Astrologie-Aussagen unironisch und die Tarot-Karten dramatisch werden, leuchtet so eine Art digitale yellow brick road auf, die je nachdem in welche Richtung der Blick geht, durchaus Abbiegespuren für Wissenschafts-Leugnung, TERFism und Tradwife-Transformationen bereithält. (Wenn sie an dieser Stelle ausgestiegen sind: Glückwunsch, ich arbeite daran, weniger online zu sein.)

Das ist die Krux mit der vermeintlichen Flucht aus dem unabhängigen Individual-Hamsterrad, gerade für Frauen - sie führt oft geradewegs in ein umzäuntes Gehege, wo man sich nur vorübergehend sicher vor Diskriminierung, Auseinandersetzung oder gesellschaftlichen Erwartungen fühlt, weil man in einen Sog geraten ist, der doch nur Schneisen zwischen verschiedene Gruppen ziehen will, um uns auf Distanz zur Macht zu bringen. Kontrolle über das eigene Leben ist übel anstrengend, aber alternativlos. Ob jetzt im Blümchenkleid beim Brotbacken, im Business-Meeting mit messerscharfem Eyeliner oder im Labor mit anderer Leuten Blutwerten. Die alles-erklärenden-Dudes finden ihren Weg überall hin, trust me, ich konnte neulich lesen, wie ein Mann (nicht Arzt) einer mehrfachen Mutter etwas über Vorteile von Geburtsmethoden erzählt hat. Von so grenzenlosem Selbstbewusstsein muss man sich einfach mal inspirieren lassen.

Natürlich, dear reader, ertappe ich mich schon auch dabei, wie ich mein eigenes Empfinden wieder als Startpunkt für wilde Denkfahrten und Recherchen nehme, anstatt einfach mal in Ruhe nicht fröhlich zu sein. Wir kennen uns jetzt ja auch schon eine Weile. Es ist alles Teil vom Prozess. Im nächsten Schritt strukturiere ich mich aus dem Krisenmoment raus, inklusive Timeline. Wenn dieser Eintrag hier fertig ist, buche ich Züge in die umstrittene Hauptstadt, wo man Ende April versuchen wird mich davon zu überzeugen, dass vernünftige Menschen da existieren können. Ob ich das dann Urlaub nennen kann, wird sich zeigen. (Mir wurden zumindest ordentliche Bars zugesagt.)

Das ist auch so ein Punkt, wo ich mit all den auf social media inszenierten Optimierungswegen mehr als hadere: Wie asketisch und produktivitäts-hörig das alles ist. Ich muss demnächst mal ausführlicher darüber schreiben, aber all diese beige gekleideten jungen Menschen, die ihr komplettes Leben in Notion tracken, sind mir auch ein bisschen zu preachy beim Verzicht. Niemand muss Alkohol trinken, Fleisch essen, Milchprodukte zu sich nehmen oder irgendetwas rauchen. (Happy Bubatz Day to all who celebrate, besonders allen Raucher*innen in Bayern. Fuck you Maggus, du weißt nicht, was du gerade heraufbeschwörst.) Aber, wenn der Verzicht darauf in den Mittelpunkt gestellt wird, damit man mehr Zeit im Gym, am Schreibtisch und dem Side-Hustle (Droppshipping-AI-Podcast Genre) verbringen kann, puh, ich weiß nicht. Mehr Energie für Freunde, Familie, kreative Hobbies, ehrenamtliches Engagement und was auch immer dir Freude bringt, yo, aber doch nicht für die Monetarisierung des Instragram-Accounts?

Ich schweife schon wieder ab.

Wie es mir gerade geht? Naja. Ich vernachlässige sehr viele Menschen aber irgendwie reicht die Energie gerade nur für mich. Ich arbeite daran, vielleicht hilft ja der Frühling. (Natürlich war mein Vitamin D auch zu niedrig, was für eine Frage.)

Was ich mit einem riesigen Batzen Geld anfangen würde?

Vielleicht erstmal mit MacKenzie Scott telefonieren? (Sie wissen schon, die Exfrau von Jeff Bezos, singuläre Milliardärin, die versucht das Geld so old school für gute Dinge einzusetzen statt sich eine Rakete oder eine Jacht mit einem dritten Hellikopter-Landeplatz zu kaufen.) Oder mit John Green? Der Young-Adult-Autor / Youtuber, der doch eigentlich nur gern TBC ausrotten möchte.

Was ich versuche zu sagen: ich würde lange mit verschiedenen Menschen reden und dann entscheiden. Mein Impuls ist immer die Unterstützung von Frauen und Mädchen, deren Bildung, deren Gesundheit, deren Ideen und gerade aktuell ist das vielleicht der wichtigste Kampf, um uns nicht alle Jahrzehnte zurückzuwerfen. Vielleicht würde ich einfach alle möglichen Stipendien bezahlen, Gründerinnen unterstützen, Vertriebswege für Verhütungs- und Abtreibungsmedikamente aufstellen. All die Frauen finden, die klüger sind als ich, die riesige Ideen und Lösungen haben und einfach nur jemanden brauchen, der um sie rum Ressourcen zur Verfügung stellt. That sounds like fun.

Aus der Reihe: Wie ich bis heute über eine Szene aus The West Wing nachdenke, wo gegen Ende der Serie ein ordinär reicher Mann ins weiße Haus kommt und Chief of Statt C.J. Cregg fragt, was sie machen würde, wenn er ihr Geld in die Hand drückt, um die Welt zu verbessern. Ihre Antwort sind Highways in Afrika, Infrastruktur und ich ja, das könnte man dann anschließend auch in Angriff nehmen.

https://www.youtube.com/watch?v=2JDFRTRjozc
Allgemein

24 Letter – Brief 4

Was es mit den 24 Briefen auf sich hat, steht hier.

Grafik einer altmodischen Postkarte mit Text:
"Mixtape-Zeit: 5 Songs, 5 kleine Geschichten. Nicht deine Lieblingslieder, nicht deine besten Konzerte. Was lief, als du so unfassbar betrunken warst? Oder was hast du angeworfen nach dem großen Streit mit deinen Eltern? Wie fängt deine Playlist an, um dich zum Putzen zu motivieren oder die Fahrt in den Urlaub zu begleiten? Was ist deine Einlaufmusik, wenn du in den Kampf ziehst? Erzähl. Und wehe, es ist nix Peinliches dabei. "

Barcelona - Freddie Mercury & Montserrat Caballé

Ich weiß nicht, ob es als "kleine Geschichte" durchgeht, aber es ist eine von diesen Erinnerungen. Es muss wohl 1992 gewesen sein, ich war also 6 Jahre alt, saß im Fernseh-"Kammerl" der Oma, mit Karamellbonbons, grade eben lief noch "Herzblatt" und dann, ich erinnere mich nicht mehr an den Kontext, das Video von der großen, imposanten Frau mit der Stimme aus einer anderen Welt und daneben der Mann, von dem mir meine Mama schon erzählt hatte. Es ist nicht wirklich eine Geschichte, aber eine von diesen Erinnerungen, als man bei einer Kunstrichtung einen neuen Level freigeschaltet hatte. Musik, das war bis dato halt, was aus dem Radio kam und manchmal so Opernkram, den Mama aufgedreht hat. Das hier, das war die Verbindung von ALLEM und es war groß, massiv, beeindruckend und ganz offensichtlich wichtig. Ich hatte noch nicht das Vokabular dafür, was eine Hymne ist, aber von da ab hing ich an der Nadel des Bombast. Ganz ehrlich, wenn einem der letzte nach oben wandernde Ton von Montserrat nicht durch Mark und Bein geht, are you even human?

https://www.youtube.com/watch?v=Y1fiOJDXA-E

Larger than Life - Backstreet Boys

Obacht, wichtig sind die ersten Sekunden in genau der Version. Erinnert ihr euch an diese Teenager-Phase, als Morgens Aufstehen die schwierigste Sache der Welt war? Just me und mein autistic Burnout? Anyway, auf der Suche nach Wegen tatsächlich wach zu werden, stieß ich auf dieses kleine Juwel und die patentier-würdige Lache von A.J. McLean . Ich hatte diese rasend schicke Ministereoanlage, die man an der Wand montieren konnte, wegen des vertikalen CD-Players - die Älteren erinnern sich. Das Ding wiederum hatte eine Zeitschaltung und nachdem ich mir angewöhnt hatte jeden normalen Wecker während der Nacht oder kurz vorm Klingeln auszumachen, hatte ich hier keine Wahl. Ein kreischendes Lachen plärrte durch mein Kinderzimmer, der Beat setzte ein und nochmal Einschlafen war nicht. An ganz harten Tagen bin ich dann damals noch 5 Minuten kalt duschen gegangen (auch schwer vorstellbar heute). Ohne zu sehr auszuholen, aber ausgerechnet dieses Album spielte damals an mehreren Fronten eine Rolle und darum gucke ich mit Nachsicht und Nostalgie drauf. (Black and Blue is the superior Album, mit ähnlich bemerkenswerten Intros, come @ me.)

https://www.youtube.com/watch?v=zQW27sg1Omc

Wish you were here - Incubus

Incubus und die Liebe dazu hatte die N., eine der allerersten Internetfreundinnen von ihrem USA-Aufenthalt mitgebracht. Das Album "Morning View" wurde ein großes Verbindungskabel zwischen mehreren Menschen quer durch die Republik und das war das Lied, dass ich hörte, wenn ich die Realität mal wieder nicht aushalten konnte, weil da niemand in der Nähe war, der mich mochte. Wir hatten ja noch keine Smartphones, alles mit Internet hat extra Geld gekostet und die Stunden im Chat oder den Foren mussten ordentlich geplant werden. Also hört man Musik und denkt fest an Menschen, um die Zeit zu überbrücken. Plus, man ist 16 oder 17 und es bricht eh gerade alles zusammen, weil man nicht weiß, wie man durchhalten soll, bis alles besser wird. Die Band war generell eine gute Brücke. Nicht so fröhlich wie die herrschende Popmusik (siehe oben), nicht so dramatisch wie die vorherrschende Gefühlswelt mit Linkin Park, Nirvana und den NineInchNails. Jedes Album klang wieder ein bisschen anders und da war zwar Schwermut, aber eher lebensbejahend, kalifornisch. Plus, Brandon Boyd konnte man anhimmeln ohne Credibility zu verlieren. Gilt übrigens immer noch.

https://www.youtube.com/watch?v=Yg0k8ylbZe0

Rock'n'Roll Suicide - David Bowie

Gute Überleitung, weil beim Incubus-Konzert war ich später auch mal mit dem A. Aber der Reihe nach. Mit 18 endlich die Beinverlängerung, endlich auf "eigenen Füßen" stehen, aber bis dahin musste ein bisschen was ausgehalten werden. Geholfen haben dabei die Mix-CDs vom A. in meinem lilafarbenen Discman, vor allem im Krankenhaus, frisch verschraubt und alles. Die Mixes waren immer sehr liebevoll kuratiert zum Anlass, hier inklusive "wenn es weh tut" bis "zum Einschlafen" (wie ich lernte Van Morrison zu lieben). Ich weiß nicht mehr, was neben dem Song stand, aber ich verbinde ihn bis heute mit heilenden Knochen und dem Effekt von jemandem, der beruhigend auf einen einredet und sagt, dass alles gut wird. Ja mei, manchmal sind Text und Wirkung auch eher .... nicht parallel. Auf den CDs war viel, was ich vorher nicht kannte, mancher neue Mix und ich bilde mir ein, dass ich Rock'n'Roll Suicide vorher auch nicht kannte. (Ich habe große Lücken bei Bowie, werft ruhig Steine, meine Eltern waren early Boomer, ich bin mit Motown groß geworden, nicht mit Stardust.) Jedenfalls, ich denke bei dem Lied bis heute an den A., an meine Narben und daran, dass vielleicht alles gut wird. Oh no love, you're not alone.

https://www.youtube.com/watch?v=YnoyiVZUxUk

My Shot - aus "Hamilton" von Lin-Manuel Miranda

Mein Fight-Song, mein "ich geh gleich in diesen wichtigen Termin und räum da alles ab" Lied und womöglich sollte ich darüber mal mit meiner Therapeutin reden. Festgesetzt hat sich das 2017, als ich kaum ein dreiviertel Jahr beim damaligen Arbeitgeber über den internen Accelerator für Produkt- und Start-up Ideen gestolpert bin. Mit bemerkenswerter Chuzpe, kaum Ahnung und erstmal ohne jemandem davon zu erzählen, habe ich etwas zusammen gezimmert und hab, naja, gepitcht. Was kann schon schiefgehen, dachte ich, allerdings nicht damit rechnend, dass es was werden könnte - bis es dann halt so kam. Am Ende waren es etwas mehr als drei Monate in einem kleinen, wilden, kreativen Büro wo jeder Tag irgendwo zwischen Hochspannung, bei Null Anfangen und heftiger Euphorie oszillieren konnte. Wie es eben ist, wenn man von einer Idee auf dem Papier zu einem Produkt, einer Firma kommen will. Leider wurde dem ganzen Projekt genau zum Ende von dem Jahr der Stecker gezogen und es blieben viele Fragen offen, was hätte sein können. Aber egal, die Geschichte von Lin-Manuel Miranda, der im weißen Haus erstmals von seiner Idee eines Musicals über Alexander Hamilton erzählt und eher belächelt wird, bis zu dem, was dann bekanntermaßen daraus wurde, das triggert meinen Kampfgeist. Auch aktuell wieder, aber das ist eine andere Geschichte. (Warum hier auch etwas über "the room where it happens" oder "I picked up a pen, I wrote my own deliverance" stehen könnte.)

https://www.youtube.com/watch?v=r1izVfVpBwE

Allgemein

24 Letters – Brief 3

Ja ich weiß, es fehlt einer, das hat Recherche-Gründe, wird nachgereicht. Was es mit den 24 Briefen auf sich hat, steht hier.

Jemand möchte dich als Mentorin haben, wofür? Was für eine Person würdest du gern beraten auf einem Weg, professionell oder anders? Welchen Ratschlag hat dir jemand mitgegeben, den du weitersagen würdest?
#24letters - Brief 3

Worin ich offensichtlich gut bin, ist anderen Leuten Fragen stellen, die der Person Kompetenz, Intelligenz und/oder Erfahrung unterstellen, nur um erst anschließend drauf zu kommen, dass ich das auch beantworten können sollte und, nun. Ich habe keine besonderen Fähigkeiten, kein dramatisch spezifisches Wissen und meine didaktischen Fähigkeiten sind angesichts meines kurzen Geduldsfadens auch so eine Sache.

Jetzt habe ich das große Glück, dass ich in meiner Umgebung durchaus auch jüngere Menschen habe, wenn auch überdurchschnittlich intelligente, was die Sache und die Freundschaft extrem vereinfacht. Oh Gott klinge ich gerade elitär. Es ist halt auch so, wenn ich darüber nachdenke, was mich oder meine, puh, Erfolgserlebnisse ausmacht, dann komme ich auf bestimmte Eigenschaften, die ich aber anderen gar nicht mal zu sehr wünsche. Aushalten können, Resilienz, nicht genug Filter, um Leuten nicht auch in heiklen Situationen die Wahrheit zu sagen.

Gerade wenn ich auf meinen beruflichen Werdegang schaue, hat das so viel mit Sturheit, es selber können wollen und nicht auf andere warten können zu tun. Projektmanagerin, aber als Diagnose.

Aber mal der Reihe nach.

Wofür wäre ich eine gute Mentorin? *hilfloses Gestikulieren*

Wenn ich etwas kann, dann Muster erkennen. So viel mir bei Menschen "zwischen den Zeilen" entgeht, ich kann schnell sagen, was ihnen wichtig ist, wofür sie stehen, wie sie sich verhalten, wenn es darauf ankommt. Das führt dann dazu, dass ich Leuten eben auch erklären kann, worin sie gut sind, was ihre Leidenschaft ist und wie sie das einsetzen können. Ich bin so eine Art analytischer Cheerleader. Tatsächlich habe ich einen dazu passenden Skill, wenn es um das Aufmotzen und Hochpolieren von Lebensläufen und Bewerbungsschreiben geht. Mit bemerkenswerter Erfolgsquote. Wirklich, ich habe Testimonials. Karriere-Mentoring für Menschen, die sich unterschätzen.

Plus, ich schätze aufgrund meines eigenen Werdegangs: Wie man die Spur wechselt, sich nach vorne arbeitet ohne automatisch die Hierarchie hinauf zu wandern, wie man mit etwas Geduld die Nische findet. Some place is gonna find your kind of weird an extremely good fit. Vielleicht ist es das, was mich die Zähigkeit gelehrt hat. Ich bin zu kantig für die Corporate Karriereleiter, also musste ich mich einer kleineren Gang anschließen. Jetzt bin ich Teil eines dramatisch neurodiversen unglaublich fähigen und frei von Profilneurosen agierenden Teams, dem man zwar die Arbeitsmittel des 21. Jahrhundert erst noch näherbringen muss, aber genau deswegen scheine ich da gut hinzupassen.

Für wen wäre ich eine gute Mentorin? Herrje.

Das erklärt sich dann ja von selbst, für alle außer durchschnittliche weiße Männer. Sorry, ich arbeite in der IT und die Anzahl von gottverdammten Werksstudenten, die bereits ihre Management-Karriere planen, hat mich zynisch gemacht. Um mich herum sind all diese unglaublich klugen, kompetenten, engagierten Frauen, die oft auch noch den Rundumblick und die Verantwortung haben, um Führungsaufgaben zu übernehmen und der Weg dahin ist nach wie vor so verdammt steinig. Wir sollen zwar mit "weiblicher Intuition" (BLERGH) Zwistigkeiten lösen, aber wehe, wir wollen das als Chefin tun, dann sollen wir ja eher nachsichtig sein. Channel your inner bad bitch, sag ich und genau dazu würde ich anleiten. Nichts überschätzen gerade junge Frauen so oft wie den Anteil an Männern, der klüger ist als sie.

Wenn ich furchtbar spezifisch werden sollte, dann natürlich fellow neurodiverse Weirdo-Girlies mit absurdem Potenzial und genau darum auch solchen Schwierigkeiten mit dem System. Das Ding mit dem Hyperfokus ist ja im Grunde der Traum aller Arbeitgeber, aber nur, wenn man es auch versteht und die Leute so arbeiten lässt. (Ja, ich bin die nervige Person, die gern auf arbeitsrechtliche Vorschriften hinweist und Leute anstachelt, das auch einzufordern. )

Aus der Sicht eines alten Millenials, irgendwo im Niemandsland von "theoretisch schon erwachsen, aber die Lage nicht mal annähernd im Griff" ist man plötzlich das Middle Child der Lohnarbeitswelt. Hinter uns sitzt GenX, die denken "mal schnell den Telefonhörer zur Hand nehmen" würde Probleme schneller lösen als ordentliche Prozesse, vor uns turnt GenZ, die diese ganze Sache mit dem Kapitalismus, dauerhaften Arbeitsverhältnissen und generell überhöhter Identifizierung mit dem eigenen Job in großen Teilen eh gar nicht wollen. Wir spekulieren auf die demographische Kurve, die mit etwas Druck hoffentlich dafür sorgt, dass sich die miserable Lohnentwicklung doch noch ein bisschen fängt, während wir aber bis fast 70 arbeiten müssen. Für Arbeitskampf sind wir fast schon zu müde, aber wir supporten die Antiwork-Jugend gern mit Hashtags oder so.

Ich sollte aufhören, bevor ich ins ranten komme. (Ich weiß es wäre komplett on brand, aber ich versuche an mir zu arbeiten was das angeht. )

Ob mir mal jemand einen wirklich guten Ratschlag mitgegeben hat? Ach naja.

Wenn ich so darüber nachdenke, sind mir mehr Sätze von Lehrer*innen im Gedächtnis geblieben, als irgendetwas, das Vorgesetzte oder Kolleg*innen so gesagt haben. Vielleicht tue ich mich darum auch so schwer mit der Frage. Ich hatte professionell wie privat immer auch Menschen um mich herum, die mir nette oder aufmunternde Dinge gesagt haben, aber mein Potenzial, meine Ziele, meinen Weg, die musste ich schon allein finden. Das ist auch so ein Frauen-Ding. Wir sind an vielen Stellen noch nicht genug, um uns gegenseitig nach oben zu ziehen. Ich hatte männliche Kollegen und Chefs, die mir durchaus gute Arbeit unterstellt haben, aber so wirklich gepusht, gefordert oder gefördert? Eher weniger. Im Gegenteil, wann auch immer ich derlei eingefordert habe, war man(n) eher irritiert. (hier denken wir uns jetzt das lange Essay über Kommunikationsschwierigkeiten von Autist*innen, die gerade, weil wir klar und eindeutig formulieren, oft nicht wahrgenommen werden.)

Ich habe auf meinem Weg schon auch viel Zuspruch und Bestätigung bekommen. Oft sind es die anderen eher...ungewöhnlichen Menschen, die erkannt haben, worin ich gut bin. Womöglich ist das der Punkt. Vor vielen Jahren hatte ich eine Vorgesetzte, die gut in bestimmten Kernaufgaben war, aber nicht wirklich für eine Führungsaufgabe eines Teams und schon gar nicht für das übergreifende Arbeiten in einem E-Commerce-Startup gemacht war. Ich hatte schnell einen Draht zum Business Development und Marketing, weil ich deren Vokabular kannte und im Nachhinein hat sie mir vielleicht unterstellt, ich hätte Ambitionen sie zu untergraben. Ich war Mitte 20, habe nix verdient und war weit weg von irgendwelchen Ambitionen.

Jedenfalls, da war eine Kollegin, etwas älter und entspannter als irgendwer sonst in dem Laden. Sie hatte ihr Herz nicht an die Bude gehängt, das habe ich auch von ihr gelernt. Jedenfalls, folgende Kollegin sagte mir damals zwei wichtige Dinge. 1: Sie fand, dass ich etwas kann. Sie mochte meine Texte, dass ich schnell verstanden habe und auch als die "Neue" mich schnell für das Team eingesetzt habe. 2. "Es gibt Kritik und es gibt Druck. Mit Kritik kann man sich auseinandersetzen, sie zu Herzen nehmen und daraus lernen. Wer dir versucht nur Druck zu machen, hat eigentlich Angst. Und die Angst von anderen kann dir egal sein."

Lustigerweise habe ich gerade in den letzten Jahren oft auf anstrengende Art gelernt, wie es aussehen kann, wenn Menschen aus Angst und Unsicherheit heraus agieren. Deswegen habe ich womöglich die Fähigkeit entwickelt, Leuten diese Angst zu nehmen. Ha. Wieder was gelernt. Dass ich es immer erst aufschreiben muss, bevor es klick macht.

https://youtu.be/WQk0xTwZumo