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Erst nach 5 Tagen denke ich erstmals bewusst darüber nach, dass ich ja jetzt Antidepressiva nehme. Ich „merke“ natürlich nicht direkt was, das ist natürlich auch eine Frage der Zeit. Aber vor allem, das hatte mir die Ärztin gesagt, bin ich dafür eigentlich nicht die Zielgruppe.
Also, das ist jetzt vielleicht erklärungsbedürftig. (Disclaimer: Me no Fachmann, ich versuche mir das auch grade erst so zurecht zu stöpseln. Bei Fragen und Nebenwirkungen gehen Sie um Himmelswillen zu einem Arzt.)

Affekte, nennen Psychologen das mal ganz grob formuliert, wenn Menschen auf Ereignisse mit einer Emotion reagieren. Beziehungsweise, wenn sie diese Emotion spüren. Wenn diese Affekt-Sache aus der Balance gerät, dann geht’s einem nicht gut. Weil man vielleicht zu drastisch reagiert. Oft verstehen Menschen ja nicht warum jemand Depressionen hat, weil das Leben dieser Person doch objektiv betrachtet „gut“ ist. Als wäre nicht genau das die Krankheit. Ohne nach außen hin offensichtlichen Grund, stellt sich eine drastische Reaktion ein. Eine tiefe Traurigkeit, sogar Mutlosigkeit. Eine große Leere. Innerer Widerhall, so dumpf, dass er alles andere ausblendet, betäubt.
Der betroffene steht gleichermaßen rätselnd wie verzweifelt davor und hält sich deswegen am Ende selbst für das Problem. Für nicht würdig des eigenen Lebens.

Also das ist eine Variante.

Dann gibt es das, was im Nachhinein betrachtet, mein Muster ist. Wenn nämlich große, verstörende Dinge passieren. Dinge, die andere Leute einfach aus der Bahn werfen. Woraufhin sie traurig, wütend oder verletzt sind. Diese Emotionen äußern sich, ebben ab, das Erlebte wird verarbeitet. You know, what healthy people do.
Ich? Ich steige einfach aus meinem Innenleben aus. Verabschiede mich von meiner eigenen Wahrnehmung. Emotionen sind für die anderen, ich bin ganz weit weg. Mit Ausnahme von bitter auf der Zunge liegendem Frust wegen geringer Toleranz gegenüber meiner Mitmenschen und hier und da dunkelroter, grobzackiger Wut bricht nichts durch. (Die dann dafür möglichst unpassend und projeziert auf blödsinnige Kleinigkeiten.)
Weil natürlich auch die Empathie flöten geht, die Nachsicht, das innere Abwiegen von guten Erinnerungen mit aktuellem Ärgernis.

Jedenfalls, wo waren wir? Ach ja genau, Antidepressiva. Die sollen nämlich eigentlich ausgleichen. Zumindest das, was mir verschrieben wurde. (Die Medikation in diesem Bereich entwickelt sich gottseidank kontinuierlich weiter und wird immer differenzierter.) Es gibt nicht wirklich Medikament, das einen wieder mit den eigenen Affekten zusammenbringt. Diese Paartherapie gibt es nicht in Pillenform. Aktuell nehme ich einen SSRI – also einen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Die Verschreibung war eher eine Sperrholzplatte auf die ganz tiefen Täler, damit ich nicht mehr abstürze. Eine Notfallmaßnahme, keine Reparatur.

Dass der jetzt wirkt, ist insofern eine eher ambivalente Sache. Ich bin…ausgeglichener, denke ich. Weniger Frust, weniger Ärger wegen Kleinigkeiten. Weniger…alles. Noch weniger als vorher schon. Nicht auf eine düstere Art. Aber fast ein wenig maschinell. Selbst diese Zeilen fließen weniger. Wobei ich mich dagegen verwehre, dass man nicht mehr schreiben kann, nur, weil im Kopf weniger Tassen fehlen als vorher. Mumpitz.

Als ich das erste Mal Depressionen hatte, als Teenager, wollte ich auch deswegen keine Medikamente. Ich hatte Angst „manipuliert“ zu werden. Mein inneres Grau war ja auch etwas an dem ich mich labte, aus dem ich angebliche Kreativität zog. Meine Lebensmüdigkeit war damals auch ein Stück weit meine Identität, schließlich hatte die Peer-Group mir alle anderen Eigenschaften abgesprochen oder nicht akzeptiert. Weil also mein Wissensdurst, meine Eloquenz und mein spezieller Humor mich zur Außenseiterin machten, wurde ich Deathwish-Girl. Das konnte mir nämlich keiner vorwerfen. Ihr wollt mich nicht, ich will dieses Leben nicht, es herrscht also Einigkeit.

Heute hat die Angst vor diesem allzu dunklen Tunnel mich dazu gebracht die Pillen zu nehmen. So….Learnings? Schwer zu sagen. Ganz trauen will ich dem Stoff immer noch nicht. Jemand zu werden, der auf die Dauer solche Medikamente nimmt, will ich mir grade nicht vorstellen. Lieber Therapie, so grässlich und anstrengend es ist.

Vor ein paar Monaten, als es aussah als würden sich Dinge zu meinen Gunsten wenden, da bekam ich eine Ahnung davon wer ich sein könnte, wenn ich glücklich bin. Nicht die zurückhaltende, zufriedene Person mit kleinen Ansprüchen von der ich dachte, dass ich sie sein wollte, sondern ein ziemlich verdrehtes, lautes, aber auch mitreißendes Weibstück. Die macht einem fast ein bisschen Angst. Aber Bitches get stuff done – und ich durfte Dinge nicht zu Ende bringen. Also muss das irre Weibstück wieder her. Sie liegt wahrscheinlich zeternd unter einem Berg aus Seelenschutt begraben. Ich werde eine Schaufel brauchen.

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